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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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sein.
    Darum können sie auch nicht trösten, sie wollen es nicht, sie sind, wie sie sind: gleichgültig, kalt, ohne alle Teilnahme.
    Zuerst, als Otto Quangel aus dem ihm vom Präsidenten Feisler verordneten Dunkelarrest in diese Zelle hinauf-kam, hatte er gemeint, es sei für ein, zwei Tage, er hatte gemeint, sie seien begierig darauf, das Todesurteil rasch an ihm zu vollstrecken, es wäre ihm recht gewesen.
    Aber dann erfährt er allmählich, daß es Wochen und Wochen mit der Vollstreckung des Urteils dauern kann, Monate, ja, womöglich ein Jahr. Doch, es gibt zum Tode Verurteilte, die schon ein Jahr auf ihren Tod warten, die sich jeden Abend zum Schlafen hinlegen, und die nicht wissen, ob sie in der Nacht aus diesem Schlaf von den Henkersgehilfen geweckt werden; jede Nacht, jede Stunde, den Bissen im Munde, beim Erbsenpalen, auf dem Notdurftkübel, stets kann die Tür sich auftun, eine Hand winkt, eine Stimme spricht: «Komm! Jetzt ist es soweit!»
    Es ist eine unermeßliche Grausamkeit, die in dieser über Tage, Wochen, Monate verlängerten Todesangst liegt, und es sind nicht nur juristische Formalien, es machen nicht nur die eingereichten Gnadengesuche, auf die der Entscheid erst abgewartet werden muß, die diese Verzögerung bedingen. Manche sagen auch, der Henker ist überbeschäftigt, er kann es nicht mehr schaffen. Aber der Henker arbeitet nur an den Montagen und an den
    Donnerstagen, an den anderen Tagen nicht. Er ist über Land, überall in Deutschland wird hingerichtet, der Henker arbeitet auch auswärts. Aber wie kommt es dann, daß von Verurteilten der eine sieben Monate früher als sein in gleicher Sache Mitverurteilter hingerichtet wird? Nein, hier ist wieder die Grausamkeit am Werk, der Sadismus, in diesem Hause wird nicht roh geschlagen und nicht körperlich gefoltert, hier sickert das Gift unmerklich in die Zellen, sie wollen die Seelen hier nicht eine Minute aus dem Todesgriff der Angst entlassen.
    Jeden Montag und Donnerstag wird das Totenhaus unruhig. Schon in der Nacht rühren sich die Gespenster, sie hocken an den Türen, ihre Glieder zittern, sie lauschen auf die Gänge hinaus. Noch gehen die Schritte der Wachen, es ist erst zwei Uhr morgens. Aber bald ... Vielleicht heute noch. Und sie bitten, beten: Nur noch diese drei Ta-ge, nur noch diese vier Tage bis zum nächsten Hinrich-tungstag, dann werde ich mich willig fügen, nur heute noch nicht! Und sie bitten, sie beten, sie betteln.
    Eine Uhr schlägt vier. Schritte, Schlüsselgeklapper, Murmeln. Die Schritte nähern sich. Das Herz fängt an zu pochen, Schweiß bricht aus über den ganzen Körper.
    Plötzlich klirrt ein Schlüssel im Schloß. Still doch, still doch, es ist ja die Zelle nebenan, die aufgeschlossen wurde, nein, noch eine weiter! Du bist noch nicht dran. Ein rasch ersticktes: Nein! Nein! Hilfe! Scharren von Füßen. Stille.
    Der regelmäßige Schritt des Postens. Stille. Warten.
    Angstvolles Warten. Ich ertrage das nicht ...
    Und nach einer endlosen Frist, nach einem Abgrund voller Angst, nach einer unerträglichen Wartezeit, die doch ertragen werden muß, nähert sich wieder das Murmeln, das Geräusch vieler Füße, das Schlüsselgeklapper .
    Es kommt näher, nahe, nahe. O Gott, heute noch nicht, nur noch die drei Tage! Ruckzuck! Schlüssel im Schloß -
    bei mir? Oh, bei dir! Nein, es ist die Nachbarzelle, ein paar gemurmelte Worte, sie holen also den Nachbarn.
    Sie holen ihn, die Schritte entfernen sich ...
    Zeit zerbricht langsam, wenig Zeit zerbröckelt langsam in unendlich viele kleine Stücke. Warten. Nichts wie Warten. Und der Schritt der Wachen auf dem Gang. O Gott, heute nehmen sie einfach Zelle neben Zelle, als nächster kommst du dran. Als - nächster - kommst - du - dran! In drei Stunden wirst du eine Leiche sein, dieser Körper ist tot, diese Beine, die dich jetzt noch tragen, tote Stecken, diese Hand, die gearbeitet, gestreichelt, gekost und gesündigt hat, wird nicht mehr sein als ein verdorbenes Stück Fleisch! Es ist unmöglich, und doch ist es wahr!
    Warten - warten - warten! Und plötzlich sieht der
    Wartende, daß durch sein Fenster der Tag dämmert, er hört eine Glocke zum Aufstehen rufen. Der Tag ist gekommen, ein neuer Arbeitstag - und er ist noch einmal verschont geblieben. Er hat noch drei Tage Frist, vier Tage Frist, wenn es ein Donnerstag ist. Das Glück hat ihm gelächelt.
    Er atmet leichter, endlich kann er leichter atmen, vielleicht verschonen sie ihn ganz. Vielleicht kommt ein großer Sieg und

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