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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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zwei alte Leute .
    Wege der Gnade!
    Anna Quangels schwerster Entschluß
    Anna Quangel hatte es schwerer als ihr Mann: sie war ei-ne Frau. Sie sehnte sich nach Aussprache, Sympathie, ein wenig Zärtlichkeit - und jetzt war sie immer allein, von morgens bis abends mit dem Entwirren und Aufrollen von Bindfäden beschäftigt, die sackweise in ihre Zelle gestellt wurden. So knapp sie ihr Mann auch mit Worten und Taten der Gemeinsamkeit gehalten hatte, dieses Wenig schien ihr jetzt wie ein Paradies, ja, die Anwesenheit nur eines stummen Otto wäre ihr schon ein Segen gewesen.
    Sie weinte viel.
    Der harte, lange Dunkelarrest hatte ihr bißchen Kraft genommen, dieses bißchen durch das Wiedersehen mit Otto wieder aufgeflammte Kraft, das sie in der Hauptverhandlung so stark und mutig gemacht hatte. Sie hatte zu sehr hungern und frieren müssen, sie mußte es ja auch jetzt in ihrer kahlen Einzelzelle. Sie konnte nicht wie ihr Mann den schmalen Küchenzettel mit rohen Erbsen aufbessern, sie hatte es nicht gelernt, wie er, ihrem Tag eine sinnvolle Einteilung zu geben, einen wechselnden Rhythmus, der immer noch etwas wie Freude erwarten ließ: nach der Arbeit eine Stunde Spaziergang oder die Zufriedenheit über einen frischgewaschenen Körper.
    Auch Anna Quangel hatte es gelernt, nachts aus dem Zellenfenster zu lauschen. Aber sie stand nicht nur manchmal an ihm, sie tat es allnächtlich. Und sie flüsterte, sie sprach am Fenster, sie erzählte ihre Geschichte, sie fragte immer wieder nach Otto, nach Otto Quangel ... O
    Gott, wußte denn wirklich hier niemand, wo Otto war, wie es ihm ging, Otto Quangel, ja doch, ein älterer Werkmeister, aber noch rüstig, sah so und so aus, drei-undfünfzig Jahre - sie mußten es doch wissen!
    Sie merkte es nicht, oder sie wollte es nicht merken, daß sie den andern lästig fiel mit ihren ewigen Fragen, ihrem hem-mungslosen Erzählen. Hier hatte jede ihre eigenen Sorgen.
    «Halt doch endlich mal deine Klappe, du da, Nummer 76, das wissen wir nun alles, was du quatschst!»
    Oder auch: «Ach, das ist die wieder mit ihrem Otto, von hinten und von vorne Otto, was?»
    Oder ganz scharf: «Wenn du nicht endlich die Klappe hältst, verpfeifen wir dich! Jetzt wollen auch mal andre drankommen!»
    Kroch dann Anna Quangel endlich tief in der Nacht unter ihre Decke, schlief sie noch viel später ein, so fand sie am nächsten Morgen nicht rechtzeitig heraus. Die Aufseherin schalt mit ihr und drohte ihr einen neuen Arrest an.
    Spät setzte sie sich an die Arbeit, zu spät. Sie mußte sich hetzen und machte allen Erfolg ihrer Hetzerei wieder zunichte, weil sie ein Geräusch auf dem Flur gehört zu haben glaubte und nun an der Tür lauschte. Eine halbe Stunde lang, eine Stunde lang. Sie, die eine ruhige, freundliche, mütterliche Frau gewesen war, veränderte sich durch die Einzelhaft so, daß alle sich an ihr ärgerten.
    Da die Aufseherinnen stets Mühe mit ihr hatten und unfreundlich mit ihr waren, fing sie Streit mit ihnen an; sie behauptete, ihr gebe man am wenigsten und am schlechtesten zu essen, aber die meiste Arbeit. Schon ein paarmal hatte sie sich bei diesem Wortgefecht so erhitzt, daß sie zu schreien anfing, einfach sinnlos zu schreien.
    Dann hielt sie selbst erschrocken inne. Sie bedachte den Weg, den sie gegangen war, bis in diese kahle Todeszelle hinein, sie dachte an ihr Heim in der Jablonskistraße, das sie nie wiedersehen würde, sie erinnerte sich des Sohnes Otto, wie er größer wurde, seines kindlichen Geplauders, der ersten Schulsorgen, der kleinen grauen Hand, die mit ungeschickter Zärtlichkeit ihr ins Gesicht gefaßt hatte -
    ach, diese Kinderhand, die sich in ihrem Leibe, aus ihrem
    Blut zu Fleisch gebildet hatte, sie war längst wieder zu Erde zerfallen, sie war ihr auf ewig verloren. Sie dachte an die Nächte, da die Trudel bei ihr im Bett gelegen hatte, wenn sie flüsternd, den blühenden jungen Leib nahe dem ihrigen, sich stundenlang unterhalten hatten, über den strengen Vater, der drüben im Bett schlief, über Ottochen und über ihre Zukunftsaussichten. Aber auch die Trudel war verloren.
    Und dann dachte sie an die gemeinsame Arbeit mit Ot-to, an den Kampf, den sie beide über zwei Jahre in aller Stille geführt hatten. Die Sonntage kamen ihr in Erinnerung, wenn sie gemeinsam am Tisch in der Stube saßen, sie in der Sofaecke, Strümpfe stopfend, und er auf seinem Stuhl, sein Schreibzeug vor sich, gemeinsam Sätze formu-lierend, gemeinsam Träumen vom großen Erfolg nachhängend.

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