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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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derer, die so reden, stark vergrößert. Die meisten Menschen laufen dem Erfolg nach. Ein Mann wie Otto Quangel, der mitten im Erfolg aus der Reihe tritt, ist eine Ausnahme.
    Er sitzt da. Er hat noch Zeit, noch muß er nicht in die Fabrik. Aber jetzt ist die Unruhe der letzten Tage von ihm gefallen. Seit er dieses Haus besichtigt, seit er diese paar kleinen Einkäufe erledigt hat, ist alles entschieden. Er braucht nicht einmal mehr groß nachzudenken über das, was er noch zu tun hat. Das tut sich jetzt von allein, der Weg liegt klar vor ihm. Er braucht ihn nur weiterzuge-hen, die ersten entscheidenden Schritte in ihn hinein sind schon getan.
    Dann, als seine Zeit gekommen ist, zahlt er und macht sich auf den Weg in die Fabrik. Obwohl es ein weiter Weg ist vom Alexanderplatz aus, geht er ihn zu Fuß. Er hat heute schon genug Geld ausgegeben, für Fahrerei, für die
    Einkäufe, das Essen. Genug? Viel zuviel! Trotzdem Quangel sich jetzt für ein ganz anderes Leben entschlossen hat, wird er an den bisherigen Gewohnheiten nichts ändern. Er wird weiter sparsam bleiben und sich die Menschen vom Leibe halten.
    Schließlich steht er wieder in seiner Werkstatt, aufmerksam und wach, wortlos und abweisend, ganz wie immer. Ihm ist nichts anzusehen von dem, was in ihm vorgegangen ist.

Enno Kluge arbeitet wieder
    Als Otto Quangel seine Arbeit in der Tischlerwerkstatt begann, stand Enno Kluge schon seit sechs Stunden an einer Drehbank. Ja, es hat den kleinen Mann nicht mehr in seinem Bett gelitten, trotz seiner Schwäche und seiner Schmerzen ist er in die Fabrik gefahren. Der Empfang dort war freilich nicht sehr freundlich, aber das war kaum anders zu erwarten.
    «Na, bist du auch mal wieder bei uns zu Besuch, Enno?»
    hatte ihn der Meister gefragt. «Wie lange willste denn diesmal wieder mitmachen, eine oder zwei Wochen?»
    «Ich bin jetzt wieder ganz gesund, Meister», versicherte Enno Kluge eifrig. «Ich kann wieder arbeiten, und ich werd auch arbeiten, das sollst du schon sehen!»
    «Na, na!» meinte der Meister ziemlich ungläubig und wollte wieder gehen. Aber er blieb noch einmal stehen, betrachtete nachdenklich Ennos Gesicht und fragte: «Und was haste denn mit deiner Visage gemacht, Enno? Ein bißchen in die Heißmangel gekommen, was?»
    Enno hat den Kopf auf sein Werkstück gesenkt, er sieht den Meister auch nicht an, als er schließlich antwortet:
    «Jawohl, Meister, durch die Mangel gedreht ...»
    Der Meister bleibt nachdenklich vor ihm stehen und betrachtet ihn immer weiter. Schließlich glaubt er sich einen Vers auf die Sache machen zu können und sagt: «Na, vielleicht hat's wirklich geholfen, vielleicht hast du nun wirklich Trieb zur Arbeit, Enno!»
    Damit ging der Meister, und Enno Kluge war froh, daß die Schläge so verstanden worden waren. Sollte der nur ruhig denken, er war wegen seiner Arbeitsscheu so abge-rollt worden, um so besser! Darüber wollte er mit keinem reden. Und wenn sie hier so dachten, würden sie ihn mit allen Fragen verschonen. Sie würden höchstens hinter seinem Rücken über ihn lachen, und das sollten sie ruhig, das war ihm egal. Er wollte jetzt arbeiten, wundern sollten sich die über ihn!
    Bescheiden lächelnd und doch nicht ohne Stolz ließ sich Enno Kluge für die freiwillige Sonntagsschicht aufschreiben. Ein paar ältere Arbeitskollegen, die ihn noch von früher her kannten, machten spöttische Bemerkungen. Er lachte einfach mit und sah es gerne, daß auch der Meister grinste.
    Übrigens hatte ihm die irrtümliche Annahme des Meisters, er habe die Schläge wegen seiner Arbeitsscheu bezogen sicher auch bei der Direktion genützt. Dorthin war er gleich nach der Mittagspause gerufen worden. Wie ein Angeklagter stand er dort, und daß von seinen Richtern einer in Wehrmachtsuniform, einer in SA-Uniform steckte, während nur einer Zivil trug, freilich auch mit dem Hoheitszeichen geschmückt, das erhöhte noch seine Angst.
    Der Wehrmachtsoffizier blätterte in einem Aktenstück und hielt Enno Kluge mit einer ebenso gleichgültigen wie angeekelten Stimme seine Sünden vor. Den und den Tag von der Wehrmacht zur Rüstungsindustrie entlassen, dann und dann erst Meldung in dem zugewiesenen Betrieb, elf Tage gearbeitet, krank geschrieben wegen Magenblutungen, drei Ärzte, zwei Krankenhäuser in Anspruch genommen. Dann und dann arbeitsfähig gesund geschrieben, fünf Tage gearbeitet, drei Tage blau gemacht, einen Tag gearbeitet, wieder Magenblutungen usw.
    Der Wehrmachtsoffizier legte das

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