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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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liegen, ausruhen, schlafen, vergessen!
    Aber gleich dachte er wieder daran, daß mit dem Tode bestraft wird, wer sich mutwillig selbst verstümmelt, und die Hand zuckte zurück ...
    Und so war es: Tod in der Strafkompanie, Tod in einem KZ, Tod auf einem Gefängnishof, das waren die Dinge, die ihn täglich bedrohten, die er von sich abwenden mußte.
    Und er hatte so wenig Kraft ...
    Irgendwie ging dieser Nachmittag hin, irgendwie war er kurz nach fünf auch im Strome der Heimkehrenden. Er hatte sich so nach Ruhe und Schlaf gesehnt; als er dann aber in seinem engen Hotelzimmerchen stand, brachte er es nicht über sich, ins Bett zu gehen. Er lief wieder los, er kaufte sich ein wenig Essen ein.
    Und wieder im Zimmer, die Eßwaren auf dem Tisch vor sich, das Bett neben sich - aber er konnte hier einfach nicht bleiben. Er war wie gehetzt, es litt ihn nicht in diesem Zimmer. Er mußte sich noch ein bißchen Waschzeug kaufen, auch sehen, daß er bei einem Trödler eine blaue Bluse kaufen konnte.
    Lief wieder los, und als er in einer Drogerie stand, fiel ihm ein, daß er noch einen ganz schweren Handkoffer mit all seinen Besitztümern bei der Lotte zu stehen hatte, deren auf Urlaub kommender Mann ihn so roh hinausgeworfen hatte. Er rannte aus der Drogerie, er stieg auf eine Elektrische; er riskierte es: er fuhr einfach zu ihr. Er konnte doch nicht alle seine Sachen preisgeben! Vor einer Wucht Prügel graute es ihn, aber es trieb ihn, er mußte zur Lotte.
    Und er hatte Glück, er fand die Lotte zu Haus, der Mann war nicht da. «Deine Sachen, Enno?» fragte sie. «Ich habe sie gleich in den Keller gesetzt, damit er sie nicht findet.
    Warte, ich hole den Schlüssel!»
    Aber er hielt sie umfaßt, er lehnte den Kopf gegen ihre starke Brust. Die Anstrengungen der letzten Wochen waren zuviel für ihn gewesen, er weinte einfach los.
    «Ach, Lotte, Lotte, ich halt es ohne dich nicht aus! Ich hab solche Sehnsucht nach dir!»
    Sein ganzer Körper bebte vor Schluchzen. Sie war ordentlich erschrocken. Sie war den Umgang mit Männern gewohnt, auch den mit flennenden, aber dann waren sie betrunken, und dieser hier war nüchtern ... Und dann dieses Gerede von Sehnsucht nach ihr und nicht ohne sie auskommen, das war Ewigkeiten her, daß jemand so was zu ihr gesagt hatte! Wenn es überhaupt je jemand zu ihr gesagt hatte!
    Sie beruhigte ihn, so gut sie konnte. «Er bleibt ja nur drei Wochen auf Urlaub, dann kannste wieder bei mir, Enno! Nimm dich jetzt zusammen, hol deine Sachen, eh er kommt. Du weißt doch!»
    Oh, wie er wußte, wie genau er wußte, was alles ihn bedrohte!
    Sie setzte ihn noch in seine Elektrische, half ihm mit dem Handkoffer.
    Enno Kluge fuhr in sein Hotel, doch ein wenig erleichtert. Nur noch drei Wochen, von denen vier Tage schon rum waren. Dann ging der wieder an die Front, und er konnte sich in sein Bett legen! Enno hatte gedacht, er hielte es ganz ohne Weiber aus, aber das ging nicht, er konnte es einfach nicht. Er würde bis dahin auch noch einmal nach der Tutti sehen; er sah doch jetzt, wenn man ihnen nur was vorweinte, dann waren sie gar nicht so schlimm. Dann halfen sie einem gleich! Er konnte vielleicht die drei Wochen bei der Tutti bleiben, das einsame Hotelzimmer war zu schlimm.
    Aber trotz der Weiber würde er arbeiten, arbeiten,
    arbeiten! Er würde keine Zicken machen, er nicht, nie wieder! Er war geheilt!

Das Ende der Frau Rosenthal
    Am Sonntagmorgen wachte Frau Rosenthal mit einem Schreckensschrei aus tiefem Schlaf auf. Sie hatte wieder etwas Grausiges von dem geträumt, was sie jetzt fast in jeder Nacht heimsuchte: sie war mit Siegfried auf der Flucht. Sie versteckten sich, die Verfolger gingen an ihnen vorüber, wobei sie die so schlecht Versteckten aus den Augenwinkeln zu verhöhnen schienen.
    Plötzlich fing Siegfried an zu laufen, sie hinter ihm drein. Sie konnte nicht so schnell laufen wie er. Sie rief:
    «Nicht so schnell, Siegfried! Ich komme nicht mit! Laß mich nicht allein!»
    Er hob sich von der Erde, er flog. Flog erst ein wenig über dem Pflaster, dann hob er sich immer höher, nun entschwand er über den Dächern. Sie stand allein auf der Greifswalder Straße. Ihre Tränen liefen. Eine große, riechende Hand legte sich erdrückend vor ihr Gesicht, eine Stimme flüsterte an ihrem Ohr: «Olle Judensau, hab ich dich endlich?»
    Sie starrte nach der Verdunkelung vor den Fenstern, an den Spalten sickerte Tageslicht hinein. Die Schrecken der Nacht entwichen vor denen des Tages, der ihr

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