Jeder stirbt für sich allein
suchen sollen, der nicht gerne fürs WHW spendet, Escherich ...»
«Sage ich auch, Herr Obergruppenführer. Zu wenig. Zu dürftig.»
«Und sonst?»
Der Kommissar zuckte die Achseln. «Wenig, nichts», sagte er. «Wir können vielleicht noch mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß der Kartenableger keinen festen Beruf hat, denn die Karten sind zu allen Tageszeiten aufgefunden worden, zwischen morgens acht und abends neun Uhr. Und bei der Belebtheit der Treppenhäuser, die mein Klabautermann benutzt, ist wohl anzunehmen, daß jede Karte ziemlich rasch nach ihrem Ablegen gefunden ist. Sonst? Ein Handarbeiter, der wenig geschrieben hat in seinem Leben, aber mit nicht schlechter Schulbildung, macht kaum je einen Schreibfehler, drückt sich nicht ungewandt aus ...»
Escherich schwieg, beide schwiegen sie ziemlich lange, wobei sie gedankenlos auf die Karte mit den roten Fähnchen starrten.
Dann sagte der Obergruppenführer Prall: «Eine harte Nuß, Escherich. Hart für uns beide.»
Der Kommissar meinte tröstend: «Es gibt keine Nuß, die so hart ist - ein Nußknacker schafft sie doch!»
«Mancher klemmt sich auch die Finger dabei, Escherich!» «Nur Geduld, Herr Obergruppenführer, bloß ein bißchen Geduld!»
«Wenn die andern oben sie bloß haben, an mir liegt's nicht, Escherich. Na, martern Sie Ihr Köpfchen mal ein bißchen, Escherich, vielleicht fällt Ihnen doch noch was Besseres ein als diese blöde Warterei. Heil Hitler, Escherich!»
«Heil Hitler, Herr Obergruppenführer!»
Allein geblieben, stand der Kommissar Escherich noch eine Weile vor der Karte, gedankenvoll den hellen Schnurrbart streichelnd. Es war ja nicht ganz so, wie er seinen Vorgesetzten hatte glauben machen wollen. In diesem Falle war er nicht nur der abgebrühte Kriminalist, den nichts mehr aufregen kann. Sondern er hatte Interesse gefunden an diesem stummen, ihm leider noch gänzlich unbekannten Kartenschreiber, der sich da schonungslos und doch so vorsichtig, so klug berechnend in einen fast aussichtslosen Kampf gestürzt hatte. Dieser Fall Klabautermann war zuerst nur einer von vielen gewesen. Dann hatte er ihn warm gemacht. Er mußte diesen Mann finden, der da mit ihm unter den zehntausend Dächern von Berlin saß, er mußte ihn von Angesicht zu Angesicht sehen, ihn, der dem Kommissar allwöchentlich mit der Regelmäßigkeit einer Maschine zwei, drei Postkarten am Montagabend, spätestens am Dienstagvormittag auf den Schreibtisch sandte.
Escherich war längst weit entfernt von jener Geduld, die er dem Obergruppenführer eben noch so sehr empfohlen hatte. Escherich jagte - dieser alte Kriminalist war ein echter Jäger. Das steckte ihm im Blut. Er hetzte Menschen, wie andere Jäger Schweine hetzten. Daß die Schweine und die Menschen am Schluß der Jagd sterben mußten, das rührte ihn nicht. Es war dem Schwein bestimmt, auf diese Art zu sterben, wie es auch den Menschen, die solche Karten schrieben, bestimmt war. Er hatte sich längst den Kopf zermartert, wie er schneller an den Klabautermann herankommen könnte - so was brauchte ihm der Obergruppenführer Prall nicht erst zu empfehlen.
Aber er fand keinen Weg, denn es gab hier nur Geduld.
Man konnte nicht wegen einer solch unbedeutenden Sache den ganzen Polizeiapparat in Bewegung setzen, jede Wohnung in Berlin durchsuchen lassen - ganz abgesehen davon, daß er nicht solche Beunruhigung in die Stadt tragen durfte. Er mußte immer weiter Geduld haben ...
Und wenn man genug Geduld gehabt hatte, da geschah es dann plötzlich: fast immer geschah etwas. Der Verbrecher beging einen Fehler, oder der Zufall spielte ihm einen Streich. Auf eines von diesen beiden mußte man warten, auf den Zufall oder auf den Fehler. Eines geschah immer oder fast immer. Escherich hoffte, daß es in diesem Falle kein «fast immer» geben würde. Er war interessiert, oh, er war stark interessiert. Im Grunde war es ihm ganz egal, ob er hier einem Verbrecher das Handwerk legte oder nicht.
Escherich, es ist schon gesagt worden, Escherich jagte.
Nicht um des Bratens willen, sondern weil das Jagen eine Lust ist. Er wußte, im gleichen Augenblick, wo das Wild zur Strecke gebracht, der Verbrecher gefangen und ihm seine Verbrechen hinreichend bewiesen waren - in dem gleichen
Moment würde Escherichs Interesse an diesem Fall aufhören. Das Wild war erlegt, der Mann saß in Untersuchungshaft - die Jagd war zu Ende. Auf ein Neues!
Escherich hat den farblosen Blick von der Karte gewendet. Er sitzt jetzt an seinem
Weitere Kostenlose Bücher