Jeder stirbt für sich allein
um Entschuldigung, Herr Obergruppenführer, so wollte ich es wirklich nicht sagen, es ist mir nur so rausgerutscht! Natürlich haben Herr Obergruppenführer viel Ahnung vom deutschen Volk, mehr als ich wahrscheinlich, aber die Leute haben jetzt doch solche Angst! Die liefern ab - mehr als zehn Karten sind bestimmt nicht im Umlauf!»
Nach einem zornigen Blick wegen des beleidigenden Ausrufes von Escherich (diese Leute, die von der Kripo kamen, waren ein bißchen reichlich dumm und taten viel zu kollegial!) und einem rügenden Vorschnellen des Armes sagte jetzt der Obergruppenführer: «Aber zehn sind auch noch zuviel! Eine ist noch zuviel! Gar keine darf mehr umlaufen! Sie müssen den Mann fassen, Escherich
- und schnell!»
Der Kommissar stand stumm da. Er hob den Blick nicht von den glänzenden Stiefelspitzen des Obergruppenführers, er strich gedankenvoll den Schnurrbart und schwieg hartnäckig.
«Ja, da stehen Sie und schweigen!» rief Prall ärgerlich.
«Und ich weiß auch, was Sie denken. Sie denken nämlich grade, daß ich auch so ein Klugscheißer bin, der wohl Rüffel austeilen kann, aber nichts Besseres vorzuschlagen weiß.»
Rot werden konnte der Kommissar Escherich schon lange nicht mehr. Aber er war in diesem Augenblick, da er genau über seinen heimlichen Gedanken erwischt worden war, dem Erröten so nahe wie nur möglich. Und verlegen war er auch, was ihm seit endlosen Zeiten nicht mehr passiert war.
Obergruppenführer Prall merkte das alles wohl. Heiter sagte er: «Nun, ich will Sie gewiß nicht in Verlegenheit bringen, Escherich, ich gewiß nicht! Und ich will Ihnen auch keine guten Ratschläge geben. Sie wissen, ich bin kein
Kriminalist, ich bin in diesen Laden nur kommandiert worden. Aber unterrichten Sie mich mal ein bißchen.
Ich werde in den nächsten Tagen bestimmt über diesen Fall berichten müssen, da wüßte ich gerne genau Bescheid.
Der Mann ist nie beim Ablegen der Karten beobachtet worden?»
«Nie.»
«Und kein Verdacht geäußert in den Häusern, wo die Karten aufgefunden wurden?»
«Verdacht? Verdacht über Verdacht! Verdacht gibt's heute überall. Aber es steckt nirgends mehr dahinter als ein bißchen Wut auf den Nachbarn, Spitzeltum, Denunziantenfieber. Nein, daher kommt keine Spur!»
«Und die Auffinder selbst? Alle unverdächtig?»
«Unverdächtig?» Escherich verzog den Mund. «Ach Gott, Herr Obergruppenführer, unverdächtig ist heutzutage keiner.» Und nach einem raschen Blick auf das Gesicht seines Vorgesetzten: «Oder alle. Aber wir haben hier sämtliche Finder gesiebt und noch mal gesiebt. Mit dem Schreiber der Karten hat keiner was zu tun.»
Der Obergruppenführer seufzte. «Sie hätten Pfarrer werden sollen. Sie können so wunderbar trösten, Escherich!» sagte er. «Bleiben also noch die Karten. Und wie steht es da mit den Anhaltspunkten?»
«Dürftig. Sehr dürftig!» sagte Escherich. «Nee, lieber nicht Pfarrer, aber die Wahrheit für Sie, Herr Obergruppenführer! Nach dem ersten Schwupper, den er gemacht hat mit dem einzigen Sohn, habe ich gedacht, er würde sich mir selbst ans Messer liefern. Aber der ist schlau.»
«Sagen Sie mal, Escherich», rief Prall plötzlich, «haben Sie je daran gedacht, daß es auch eine Frau sein könnte?
Mir fiel das eben so ein, als Sie vom einzigen Sohn sprachen.»
Der Kommissar sah einen Augenblick seinen Vorgesetzten überrascht an. Er dachte nach. Dann sagte er, bekümmert den Kopf schüttelnd: «Damit ist's auch nichts, Herr Obergruppenführer. Das ist vielmehr grade einer der Punkte, die ich für absolut sicher ansehe. Mein Klabautermann ist ein Witwer oder jedenfalls ein Mann, der ganz für sich allein lebt. Wäre ein Weib in der Sache, das hätte längst inzwischen ein bißchen Geschwätz gegeben.
Bedenken Sie: ein halbes Jahr, so lange hält keine Frau dicht!»
«Aber eine Mutter, die den einzigen Sohn verloren hat?» «Auch nicht. Grade die nicht!» entschied Escherich.
«Wer Kummer hat, will getröstet werden, und um Trost zu bekommen, muß man reden. Nein, bestimmt ist keine Frau in der Sache. Von der weiß nur einer, und der kann schweigen.»
«Wie gesagt: Pfarrer! Und was sonst für Anhaltspunkte?»
«Dürftig, Herr Obergruppenführer, sehr dürftig. Ziemlich sicher ist der Mann geizig oder hat irgendwann mal Krach mit dem Winterhilfswerk gehabt. Denn auf den Karten mag stehen, was da will, noch nicht einmal hat er die Mahnung vergessen: Gebt nichts für das WHW!»
«Na, wenn wir nach einem in Berlin
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