Jedes Kind ist hoch begabt: Die angeborenen Talente unserer Kinder und was wir aus ihnen machen (German Edition)
gewahr wird, sich selbst entdeckt, seine Stärken und Schwächen kennenlernt.
Doch was würden die elf Jungen, die nun einen Sommer lang erleben durften, was für wichtige Dinge man in nur zwei Monaten lernen kann, die alle nicht in Schulbüchern stehen und nicht im Unterricht gelehrt werden, erleben, wenn sie mit diesem prall gefüllten Rucksack an eigenen Erfahrungen wieder in ihre alten Zusammenhänge kämen? Wie lange, so fragten wir uns, würden sie dieses Leben aushalten, ohne zu verzweifeln? Wie schnell würden sie erleben müssen, dass sie doch wieder in die alten Säcke der fest gefügten Vorstellungen ihrer Lehrer, womöglich sogar ihrer Eltern gesteckt werden? In diese Bewertungssäcke, auf denen für jeden gut lesbar, möglichst sogar in roter Schrift geschrieben stand, was sie nach deren Meinung waren: » verhaltensauffällig«, » aufmerksamkeitsgestört«, » aufmüpfig«, » zappelig« oder gar » eigensinnig«. Wie lange kann ein Kind das ertragen? Und wie muss es darauf reagieren?
Als wir in dem Alter der Almkinder waren, gab es noch nicht so viele Möglichkeiten der Zerstreuung. Der Abwechslung. Es gab noch nicht diesen immensen Druck in der Schule, den Druck, das Leben perfekt gestalten zu müssen. Auch wir mussten in der Schule lernen, auch wir langweilten uns im Unterricht, aber nach der Schule gab es immer die Möglichkeit, das Leben zu erkunden. Wir waren immer draußen, wir waren jeden Nachmittag mit Freunden unterwegs, die Eltern ließen uns laufen und wir standen nicht unter Beobachtung. Wir hatten das Gefühl, mehr über unser Leben bestimmen zu können als die Kinder heute.
Wir stellten uns die Frage, ob wir nur sentimental seien oder die Verhältnisse nicht richtig begriffen hätten, wenn wir die Kindheit von heute mit der von damals vergleichen. Und dann fiel uns auf, wie wenig Menschen sich darüber empören, was Kindern in unserem Land zugemutet wird, was sie aushalten müssen, wenn Erwachsene, seien es Lehrer, Ärzte oder Psychologen und manchmal sogar die eigenen Eltern, vorgeben, besser zu wissen, was gut für sie ist. Einen genauen Plan haben, was getan werden muss und wie sie zu sein haben. Ohne jeden Respekt davor, dass jeder Mensch seine eigenen Bedürfnisse und Vorstellungen hat und kein Mensch dem anderen gehört.
Wer von all denen, die diese Kinder bewerten, beurteilen und diagnostizieren, kann denn wirklich sicher wissen, was für die Kinder, die in unsere Welt hineinwachsen und schon bald selbst ihr Leben und unsere Zukunft gestalten werden, gut und richtig ist? Welcher Erwachsene kann mit Bestimmtheit sagen, worauf es in Zukunft für diese Kinder ankommen wird? Und wenn ja, woher kann er das wissen? Aus Lehrbüchern, Ratgebern, Bulletins? Von Ärzten und Lehrern?
Wir sind überzeugt, dass Kinder heute viel zu früh groß zu werden haben, ohne Zeit zu finden für die richtigen Schritte, die richtige Reihenfolge. Es an Geduld fehlt und an sinnvollen Aufgaben, stärkenden Gemeinschaften und ermutigenden Vorbildern. Dass Kinde r – den Kopf voller Bilder – kaum mehr in der Lage sind, eigene Erfahrungen zu sammeln und eigene Wege zu gehen, weil sie zu vielVorgefertigtes konsumieren. » Die Erwachsenen«, sagt Janis, 14, » machen nämlich einen großen Fehler: Sie regeln immer alles für einen.«
Was wir in den Bergen in einer außergewöhnlichen Situation erlebt haben, hat uns ermutigt, dieses Buch zu schreiben. Längst haben auch Entwicklungspsychologen in aufwändigen Untersuchungen festgestellt, dass es die Umgebung ist, die den Menschen formt. Wer Zuwendung und Fürsorge erfährt, profitiert ein Leben lang. Und wer stressempfindlich ist und vielleicht zur Depression neigt, kann trotzdem ein erfülltes Leben führen, wenn er Unterstützung erfährt. Es gibt robuste und weniger robuste Kinder. Die einen haben mit schwierigen Verhältnissen zu kämpfen, den anderen fällt das Leben leicht. Kein Mensch gleicht dem anderen. Ob wir Sieger werden oder Verlierer, ist nicht in den Erbanlagen festgeschrieben. Es hat damit zu tun, welche Erfahrungen wir sammeln. Ob wir Zugang finden zu den eigenen Gefühlen. Ob wir das, was in uns steckt, entfalten können. Nicht die Kinder sind krank, es sind die Verhältnisse, die sie krank machen.
Und nicht nur die Kinder. Immer mehr Menschen leider unter der genormten Welt von heute. Wir wollen mit diesem Buch all jenen Mut machen, die rebellisch sind und aufsässig werden. Die sich nicht mehr am Normalen, sondern am Besseren
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