Jedes Kind ist hoch begabt: Die angeborenen Talente unserer Kinder und was wir aus ihnen machen (German Edition)
korrigiert und kritisiert zu werden, sie haben es auch nicht verdient. Sie sind kompetent und wollen Verantwortung übernehmen, für sich und im besten Fall auch für andere. Sie sind, von klein auf, eigene Persönlichkeiten mit eigenen Bedürfnissen. Sie haben eigene Erinnerungen und Erfahrungen gesammelt, sich eigene Fähigkeiten und Fertigkeiten angeeignet. Sie gehören niemandem, nur sich. Sie sind Adler. Keine Suppenhühner.
Damit unsere Kinder all die vielen Talente und Begabungen entfalten können, die in ihnen angelegt sind, müssten wir sie ohne Ängste und Sorgen und ohne vorgefertigte Vorstellungen und Absichten anschauen. Dazu müssten wir uns auf sie einlassen und mit ihnen wirklich in Beziehung treten. Aber nicht in eine Beziehung, wie wir sie zwischen einem Vorgesetzten und einem Untergebenen oder einem Gebildeten und einem noch zu Bildenden kennen. Es müsste eine Beziehung sein, in der sich zwei Menschen begegnen, die zwar verschieden sind, aber bereit, voneinander zu lernen. Die Lust darauf haben, die Welt gemeinsam zu entdecken und zu gestalten. Wir müssten also lernen, unseren Kindern auf Augenhöhe zu begegnen. Es macht nichts, wenn wir dabei gelegentlich in die Hocke gehen.
2 Mehr als ein Wunder: Welche Begabungen unsere Kinder mit auf die Welt bringen
Wenn wir von besonders begabten Menschen sprechen, denken wir an solche, die etwas geleistet haben, was wir bewundern und wovon wir glauben, dass es ein » normaler« Mensch nie zustande bringt. Weil wir uns nicht vorstellen können, dass jemand zu solch außergewöhnlichen Leistungen fähig ist, wenn er nicht schon mit einem besonderen Talent dafür auf die Welt gekommen ist, glauben wir, diese Begabungen seien angeboren. Und weil wir nicht wissen, wie es zur Herausformung solcher angeborener Talente kommt, machen wir dafür genetische Anlagen verantwortlich. Wir betrachten es als glückliche Fügung und sind uns sicher, dass sich so großartige Lebenswerke wie die eines Wolfgang Amadeus Mozart, eines Albert Einstein, eines Alexander von Humboldt oder eines Pablo Picasso nicht wiederholen lassen, auch wenn man sich noch so sehr anstrengt und noch so viel übt und trainiert. Das ist unsere feste Überzeugung, und deshalb bemühen wir uns, als Eltern und Erzieher bereits sehr früh darauf zu achten, ob ein Kind eine außergewöhnliche Begabung zeigt, um ihm die Möglichkeit zu geben, sein Talent optimal zu entfalten. Auf den ersten Blick klingt das alles ganz logisch und überzeugend. Auf den zweiten weniger.
Das beginnt bereits damit, dass man sich fragen muss, ob Picasso, Einstein oder Mozart auch in anderen Kulturkreisen und zu anderen Zeiten von ihren Mitmenschen und Zeitgenossen als hochbegabt betrachtet worden wären. Von Amazonasindianern oder den Aborigines in Australien beispielsweise oder von den Menschen aus Mitteldeutschland zur Zeit der Kreuzzüge. Sehr wahrscheinlich gelten dort und galten damals ganz andere Personen als hochbegabt. Der Bewertungsmaßstab für das, was eine bestimmte Kultur zu einer bestimmten Zeit für eine besondere Begabung hält, ist also nicht überall und jederzeit derselbe. Was als besondere Begabung gilt, ist immer abhängig von dem, was Menschen dort, wo sie gerade leben, als besonders wichtig und wertvoll erachten. Früher kam es eher darauf an, ein Feld bestellen zu können. Heute eher darauf, einen Computer zu bedienen. Offenbar hat das, was wir als eine besondere Begabung oder ein Talent bewerten, keine absolute Gültigkeit.
Dieser Umstand stellt aber unsere gesamten Ansichten über eine besondere Begabung in Frage. Wenn ein Kind beispielsweise extrem gut auf Bäume steigen und klettern kann, ist es dann nicht genauso hoch begabt wie ein anderes Kind, das schon als Grundschüler ein mathematisches Problem löst, an dem sich erwachsene Mathematiker die Zähne ausbeißen?
Hier müssen wir wohl noch an unseren Vorstellungen arbeiten. Und vor allem müssen wir uns fragen, welche Auswirkungen unsere vom gegenwärtigen Zeitgeist geprägten Ansichten darüber, was wir für eine besondere Begabung halten, auf diejenigen haben, die wir diesen Ansichten folgend als begabter oder unbegabter bewerten. Für die Objekte derartiger Bewertungen, für die betreffenden Kinder, hat beides eine gleichermaßen ungünstige Konsequenz: Die einen halten sich für bessere und wertvollere Mitglieder unserer gegenwärtigen Gesellschaft. Die anderen halten sich für minderwertig und fühlen sich ausgeschlossen. Hilfreich ist
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