Jedes Kind ist hoch begabt: Die angeborenen Talente unserer Kinder und was wir aus ihnen machen (German Edition)
so, als würde sie in ein fremdes Land reisen, den Kontinent wechseln. Sie fühlen sich verlassen, sie fürchten sich vor dem Nichts, sie haben Todesangst; damit können wir dieses tieftraurige Gefühl vergleichen. Und nur ein Lächeln kann sie erlösen. Die Beruhigung, dass alles gut ist. So lernt ein Kind, mit jeder Faser seines Körpers, dass sein Fühlen wahrgenommen wird. Dass es richtig ist. Und wichtig. Die Liebe hält es am Leben. Nie wieder ist ein Mensch in der Lage, sich so vorbehaltlos hinzugeben wie ein Baby in den Armen seiner Eltern.
Nicht alle Kinder haben das Glück, in eine Welt hineinzuwachsen, in der sie die Erfahrung von liebevoller Geborgenheit machen können. Aber jedes Kind ist bereit, alles zu tun, um sein tiefes Bedürfnis nach Verbundenheit zunächst bei der Mutter und später auch bei dem Vater oder anderen Bezugspersonen zu stillen. Deshalb haben Kinder ein sehr feines Gespür für die Wunschbilder ihrer Eltern. Nur allzu gern übernehmen sie die Rolle, die man ihnen zuweist, und vollbringen bisweilen ganz außergewöhnliche Leistungen. Nicht selten führt das allerdings dazu, dass solche besonders » braven« Kinder sich deshalb irgendwann später selbst nicht mehr mögen und ihre Verzweiflung darüber in selbstdestruktivem Verhalten zum Ausdruck bringen, zum Entsetzen ihrer ahnungslosen Eltern.
Andere Kinder scheitern bereits bei ihren ersten Anläufen auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit. So sehr sie sich auch anstrengen, sie können es ihren Eltern nicht recht machen. Sie haben von Beginn an keine Gelegenheit, ihre Liebe zu ihren Eltern zum Ausdruck zu bringen. Ihnen bleibt meist keine andere Wahl, als ihr Bedürfnis nach Verbundenheit sehr früh zu unterdrücken und sich den elterlichen Erziehungsversuchen, wo immer das möglich ist, zu entziehen.
Manche Kinder aber haben Eltern, die sie liebevoll annehmen, so, wie sie sind. Die nicht von ihnen erwarten, dass sie ihre eigenen geheimen Wünsche erfüllen, und die nichts aus ihnen » machen« wollen. Die sie nicht benutzen, um ihre eigene Bedürftigkeit zu stärken oder sie gar als Sexual- oder Ausstellungsobjekte missbrauchen. Das sind all jene Kinder, die von ihren Eltern wirklich geliebt werden. Diesen Kindern gelingt es, in Verbundenheit mit ihren Eltern und einer später wachsenden Zahl anderer Menschen ihre angeborene Offenheit, ihre Entdeckerfreude und Gestaltungslust zu bewahren und dabei immer freier und autonomer zu werden. So können sie ihre Potenziale entfalten und Liebende bleiben, ein Leben lang. Weil sie selbst geliebt worden sind. So, wie sie sind.
Offenheit und Entdeckerfreude
Stellen Sie sich vor, Sie wären als Amazonasindianer auf die Welt gekommen. Dann hätten Sie gelernt, 120 verschiedene Grüntöne zu unterscheiden und zu benennen. Und in Ihrem Gehirn wären die dazu erforderlichen neuronalen Verschaltungsmuster von ganz allein immer stärker stabilisiert worden. Einfach deshalb, weil es im Regenwald, wo es viele Grüntöne gibt, wichtig ist, den einen vom anderen unterscheiden zu können. Und wenn Sie in Grönland als Inuit geboren worden wären, hätten Sie gelernt, den Schnee zu » lesen« und so die vielen Formen von Eis und feinen Kristallen exakt zu benennen. Sie hätten auch an irgendeinem anderen Ort der Erde aufwachsen können. Überall wäre ein anderes Wissen für Sie besonders wichtig gewesen. Weil jede einzelne Familie, in die Sie an einem bestimmten Ort hineingewachsen wären, eine ganz besondere Familie ist, und weil in jeder Familie auf ganz bestimmte Dinge mehr Wert gelegt wird als auf andere, hätten Sie sich zu eigen gemacht, worauf es in dieser Familie besonders ankommt. Überall hätten sich in Ihrem Gehirn Nervenzellen verknüpft, in manchen Bereichen wären komplexere, in anderen einfachere Verschaltungsmuster entstanden.
Die genetischen Anlagen eines Menschen legen nicht fest, wie sich die Milliarden von Nervenzellen im sich entwickelnden Gehirn miteinander vernetzen sollen. Sie sorgen lediglich dafür, dass zunächst ein Überschuss an Nervenzellen und an Vernetzungen zwischen diesen Nervenzellen bereitgestellt wird. Am Anfang herrscht also in unserem Gehirn ein riesiger Überschuss an Verknüpfungsmöglichkeiten. Der Tisch ist reich gedeckt, wir müssen nur noch Platz nehmen.
Mit jedem neuen Tag in der Wunderwelt entscheidet sich, welche dieser anfänglich bereit gestellten Nervenzellvernetzungen stabilisiert werden, welche erhalten bleiben und welche verkümmern. Was sich
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