Jedes Kind kann richtig essen
fordern. Nach der Geburt meines Sohnes erzählte eine Mutter in meiner Stillgruppe:
»Meine Tochter ist vier Monate alt.
Ich stille noch voll. Der Kinderarzt hat sie vor zwei Wochen gewogen und festgestellt, sie sei zu schwer für ihre Größe. Ich sollte abstillen und auf Quark umstellen, damit sie dünner wird. Das ist ja nicht zu glauben! Von Muttermilch allein kann ein Baby nicht zu dick werden. Das weiß doch jeder. Ich habe mir einen anderen Arzt gesucht.«
Seien Sie vorsichtig bei Ratschlägen, die sich nur auf ein angeblich zu hohes oder zu niedriges Gewicht Ihres Kindes beziehen. Wer sich ein Urteil bilden will, sollte zusätzlich Folgendes tun:
das Kind anschauen: Ist es gesund und seinem Alter entsprechend gut entwickelt?
die Eltern anschauen: Welche Erbanlagen könnten eine Rolle spielen?
die Wachstums- und Gewichtskurve des Kindes anschauen: Ist der Verlauf ungewöhnlich?
→ Da stimmt was nicht: auffällige Wachstumskurven
Nach den »normalen« Kurven stellen wir Ihnen nun zwei Kurven vor, die nicht so normal verlaufen, in der Kinderarztpraxis aber doch ab und zu auftauchen.
Svens Gewichtskurve: Ein dramatischer Gewichtseinbruch wurde in kürzester Zeit mit den richtigen Maßnahmen wieder ausgeglichen.
Sven: zu wenig Hunger
Sven wog bei der Geburt 4140 Gramm und lag damit über dem Durchschnitt. Svens Mutter war froh, dass ihr Baby so »pflegeleicht« war: Es weinte fast nie, schlief schon mit sechs Wochen durch und »meldete« sich nur alle fünf bis sechs Stunden. Sven schlief auch tagsüber sehr viel. An der Brust trank er mit wenig Begeisterung. Schon nach wenigen Minuten hörte er auf. Es schien ihm aber zu reichen, denn er hielt ja bis zur nächsten Mahlzeit wieder einige Stunden aus.
Auf der rechten Seite sehen Sie Svens Gewichtskurve in den ersten zwölf Monaten. Normalerweise nehmen Neugeborene während der ersten Lebensmonate besonders schnell zu.
Schon mit vier Monaten haben viele ihr Gewicht verdoppelt. Sven hat schon in den ersten Wochen etwas weniger als üblich zugenommen, aber das war noch kein Alarmsignal. Schließlich war er bei seiner Geburt auch besonders schwer. Bei der U4, als Sven dreieinhalb Monate alt war, mussten wir jedoch feststellen: Er hatte seit sechs Wochen überhaupt nicht mehr zugenommen.
Wie konnte das passieren? Sven wurde doch voll gestillt! Warum trank er nicht mehr? Babys wissen doch angeblich, wie viel sie brauchen.
Sven war nicht sehr aktiv und nicht fordernd. Er gab seiner Mutter keine deutlichen Signale, wann er Hunger hatte. Fünf, sechs Stunden Trinkpause waren für einen Säugling sehr lang! Zusätzlich deutete seine Mutter jedes Abwenden von der Brust als »satt« und nahm ihn weg. Sven beschwerte sich ja nicht. Sie freute sich, dass ihr Kind so »pflegeleicht« war.
Was passierte nun? Sven trank wenig und selten. Muttermilch wird entsprechend der Nachfrage gebildet: Es wurde immer weniger, obwohl Sven eigentlich immer mehr gebraucht hätte.
Das Angebot stimmte nicht mehr.
Sven begann allmählich »an der Brust zu verhungern«. Seine Mutter kam erst in die Kinderarztpraxis, als sein Gewicht schon dramatisch eingebrochen war. Deshalb mussten wir bei Sven ausnahmsweise das Zufüttern empfehlen. Sven hat innerhalb kürzester Zeit aufgeholt und mit sechs Monaten seinen Platz auf der Gewichtskurve wieder gefunden.
Jens’ Gewichtskurve: Einbruch aufgrund einer Getreide-Unverträglichkeit, der nach der Diagnose schnell ausgeglichen wurde.
Jens: Getreide-Unverträglichkeit
Anders als Sven nahm Jens während der ersten sechs Monate ganz gleichmäßig zu. In dieser Zeit wurde er voll gestillt. Dann stellte seine Mutter auf Getreidebrei um, und die Gewichtskurve knickte ab. Das sah verdächtig nach einer Getreide-Unverträglichkeit aus. Die Diagnose bestätigte sich:
Jens hatte Zöliakie. Er vertrug das Klebereiweiß im Getreide nicht. Es griff seine Darmschleimhaut an. Seit seine Mutter es weiß, bietet sie ihm Reis oder Mais als Ersatz an. Das Angebot stimmt wieder, und Jens gedeiht gut.
Im zweiten Lebensjahr hat er alles aufgeholt. Seine Gewichtskurve sehen Sie auf > .
Ab- oder Zunehmen durch Stress?
Vielleicht haben Sie bisher die Kurve eines Kindes vermisst, das aufgrund von Stress plötzlich abnimmt oder zunimmt. Dazu Dr. Morgenroth: »Ich kann Ihnen keine zeigen, weil ich in meiner Kinderarztpraxis – in der ich bisher etwa 20 000 Kinder untersucht habe – noch nie so eine Kurve gesehen habe. Nur in den ersten sechs Lebensjahren
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