Jeffery Deaver - Der Insektensammler1.doc
ihn von der Operation abzuhalten. Um ein paar Tage Zeit zu schinden und ihm die Gelegenheit zu geben, seine Meinung zu ändern. Doch er verdrängte den Gedanken, herrschte sich selbst an: Finde sie, rette sie. Bevor auch sie Garrett zum Opfer fällt. Hundertsiebenunddreißig Mal gestochen.
»Wir haben es hier aber auch mit einem gewissen - wie würden Sie sagen? -, einem Interessenkonflikt zu tun, nicht wahr?«, sagte Lucy.
»Genau«, sagte Mason.
»Woher sollen wir wissen, dass Sie uns nicht weiß der Teufel wohin schicken, damit sie davonkommt?«
»Weil Amelia sich irrt«, erwiderte Rhyme geduldig.
»Garrett ist ein Mörder, und er hat sie nur benutzt, um aus dem Gefängnis auszubrechen. Sobald er sie nicht mehr braucht, wird er sie töten.« Bell schritt einen Moment lang auf und ab und blickte auf die Karte.
»Okay, wir machen's so, Lincoln. Sie kriegen Ihre vierundzwanzig Stunden.« Mason seufzte.
»Und wie, zum Teufel, wollen Sie sie in dieser Wildnis finden?« Er deutete auf die Karte.
»Wollen Sie sie etwa einfach anrufen und fragen, wo sie ist?«
»Genau das habe ich vor. Thom, lass die Geräte wieder aufbauen. Und jemand soll Ben Kerr zurückholen.« Lucy Kerr stand in dem Büro nebenan und telefonierte.
»Staatspolizei North Carolina in Elizabeth City«, meldete sich eine muntere Frauenstimme.
»Womit kann ich Ihnen helfen?«
»Verbinden Sie mich mit Detective Gregg.«
»Einen Moment bitte.«
»Hallo?«, ertönte kurz darauf eine Männerstimme.
»Pete, ich bin's, Lucy Kerr aus Tanner's Corner.«
»Hey, Lucy, wie läuft's? Was ist mit den vermissten Mädchen?«
»Haben wir alles im Griff«, sagte sie ruhig, obwohl sie vor Wut kochte, weil Bell darauf bestanden hatte, dass sie sich genau an die Worte hielt, die Rhyme ihr vorgegeben hatte.
»Aber wir haben ein anderes Anliegen, eine Kleinigkeit.« Eine Kleinigkeit...
»Was braucht ihr denn? Ein paar Mann Verstärkung?«
»Nein, bloß eine Fangschaltung für ein Mobiltelefon.«
»Habt ihr eine Vollmacht?«
»Der Gerichtsschreiber faxt sie euch gerade rüber.«
»Geben Sie mir die Telefon-und die Seriennummer.« Sie gab ihm beides durch.
»Wie ist die Vorwahl, zwo-eins-zwo?«
»Es ist eine New Yorker Nummer. Der Teilnehmer ist derzeit hier unterwegs.«
»Kein Problem«, sagte Gregg.
»Wollt ihr einen Mitschnitt von dem Gespräch?«
»Bloß den Aufenthaltsort.« Und freies Schussfeld...
»Wann... Moment. Hier ist das Fax...« Er verstummte kurz, während er es las.
»Ach, bloß eine vermisste Person?«
»Ja, mehr nicht«, sagte sie widerwillig.
»Ihr seid euch aber darüber im Klaren, dass so was ziemlich kostspielig ist. Wir müssen euch das in Rechnung stellen.«
»Ist mir klar.«
»Okay, bleiben Sie dran, ich ruf meine Techniker an.« Ein leises Klicken. Lucy setzte sich auf den Schreibtisch, ließ die Schultern hängen, beugte und streckte die Finger ihrer linken Hand, die von der jahrelangen Gartenarbeit rau und gerötet waren, musterte die Narbe, die sie sich an dem Spanndraht um einen Mulchballen zugezogen hatte, und die Einbuchtung an ihrem Ringfinger, wo sie fünf fahre lang ihren Ehering getragen hatte. Beugen, strecken. Während sie das Spiel der Adern und Muskeln unter der Haut betrachtete, wurde Lucy mit einem Mal etwas bewusst. Dass Amelia Sachs' Verhalten eine Wut in ihr entfacht hatte, die stärker war als alles, was sie je empfunden hatte. Als man an ihr herumschnitt, hatte sie sich geschämt und war sich dann elend und verloren vorgekommen. Als ihr Mann sie verließ, hatte sie sich die Schuld gegeben und sich in ihr Schicksal gefügt. Und selbst als sie schließlich sauer wurde über all das, was man ihr antat, richtig böse, war ihre Wut eher verhalten gewesen - wie glimmende Kohle, die zwar Hitze ausstrahlt, aber niemals aufflammt. Doch aus irgendeinem Grund, den sie selbst nicht recht verstand, hatte es diese Polizistin aus New York fertig gebracht, sie zur Weißglut zu treiben sie hätte vor lauter Wut aus der Haut fahren und über sie herfallen können wie diese Hornissen über Ed Schaeffer. Sie kochte vor Wut, weil sie sich hintergangen fühlte, sie, Lucy Kerr, die in ihrem Leben noch keiner Menschenseele absichtlich etwas zu Leide getan hatte, die Pflanzen liebte, die ihrem Mann eine gute Ehefrau gewesen war, eine tüchtige Tochter, auf die ihre Eltern stolz sein konnten, eine getreue Schwester, eine gute Polizistin, eine Frau, die nur ein bisschen Freude im Leben haben wollte, so wie alle anderen
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