Jeffery Deaver - Der Insektensammler1.doc
wie ich auf Garrett aufpasse...) Sie kamen flott voran. Sachs war überrascht, wie geschmeidig der Junge trotz seiner gefesselten Hände durch den Wald huschte. Er schien genau zu wissen, wohin er die Füße setzen musste, durch welche Pflanzen sie mühelos hindurchschlüpfen konnten und welche sie aufhielten. Wo der Boden zu weich war, als dass man darauf gehen konnte.
»Treten Sie nicht da hin«, sagte er streng.
»Das ist Carolina-Lehm. Der hält Sie fest wie Leim.« Eine halbe Stunde lang marschierten sie, bis der Boden matschig wurde und die Luft nach Methan und Moder roch. Schließlich kamen sie nicht mehr weiter - der Pfad endete in einem Morast -, und Garrett führte sie zu einer zweispurigen Asphaltstraße. Sie schoben sich durch das Gestrüpp neben dem Bankett. Mehrere Autos fuhren gemächlich vorbei, ohne dass die Insassen die Flüchtigen wahrnahmen. Sachs schaute ihnen neidisch hinterher. Erst seit zwanzig Minuten auf der Flucht, dachte sie, und schon krampft sich dein Herz zusammen, wenn du jemand siehst, der ein normales Leben führt - und beim Gedanken an die Wendung, die dein eigenes Leben genommen hat. Das ist mehr als dumm, gute Frau.
»He da!« Mary Beth McConnell fuhr hoch. Wegen der Hitze und der stickigen Luft in der Hütte war sie auf dem muffigen Sofa eingeschlafen. Wieder ein Ruf, ganz in der Nähe.
»Miss, alles in Ordnung? Hallo? Mary Beth?« Sie sprang hoch und lief rasch zu dem zerbrochenen Fenster. Sie war benommen, musste einen Moment lang den Kopf senken, sich an der Wand abstützen. Ihre Schläfe schmerzte fürchterlich. Zum Teufel mit dir, Garrett, dachte sie. Der Schmerz ließ nach, sie konnte wieder klarer sehen. Und sie ging weiter zum Fenster. Es war der Missionar. Er hatte seinen Freund dabei, einen großen Mann mit schütter werdendem Haar, der eine graue Hose und ein Arbeitshemd trug. Der Missionar hatte eine Axt in der Hand.
»Vielen Dank, vielen Dank«, flüsterte sie.
»Miss, ist alles in Ordnung?«
»Mir fehlt nichts. Er ist nicht zurückgekommen.« Ihr Hals war so rau, dass jeder Ton wehtat. Der Mann reichte ihr eine weitere Feldflasche voll Wasser, und sie trank sie in einem Zug aus.
»Ich habe die Polizei in der Stadt angerufen«, erklärte er ihr.
»Die sind schon unterwegs. Müssten in zehn, fünfzehn Minuten hiersein. Aber so lange warten wir nicht. Wir holen Sie gleich raus, wir beide.«
»Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.«
»Treten Sie ein Stück zurück. Ich hacke schon mein Leben lang Holz, und die Tür hier hab ich im Nu kurz und klein geschlagen. Das ist Tom. Er arbeitet ebenfalls für den Bezirk.«
»Hallo, Tom.«
»Hallo. Ist mit Ihrem Kopf alles in Ordnung?«, fragte er und runzelte die Stirn.
»Sieht schlimmer aus, als es ist«, sagte sie und fasste an den Schorf. Dong, dong. Die Axt grub sich in die Tür. Vom Fenster aus konnte sie sehen, wie das Blatt hochgerissen wurde und in der Sonne funkelte. Die Schneide glitzerte, was darauf hindeutete, dass sie sehr scharf war. Mary Beth hatte ihrem Vater immer beim Hacken des Feuerholzes für den Kamin geholfen. Sie konnte sich noch daran erinnern, wie gern sie ihm zugesehen hatte, wenn er die Schneide mit dem Wetzstein an seiner Schleifmaschine geschärft hatte - die hellen Funken waren in die Luft gestoben wie Feuerwerkskörper am vierten Juli.
»Was ist das für 'n Junge, der Sie entführt hat?«, fragte Tom.
»Ein Perverser?« Dong... dong.
»Er ist ein Schuljunge aus Tanner's Corner. Er ist sonderbar. Sehen Sie sich das Zeug an.« Sie deutete auf die Gläser mit den Insekten.
»Jesses«, sagte Tom, beugte sich zum Fenster und sah hinein. Dong. Dann ein lautes Knacken, als der Missionar einen langen Splitter aus der Tür hieb. Dong. Mary Beth blickte zur Tür. Garrett musste sie verstärkt haben. Möglicherweise hatte er zwei Türen übereinander genagelt.
»Ich komm mir schon selber vor wie einer von den verdammten Käfern«, sagte sie zu Tom.
»Er -« Mary Beth sah nur eine undeutliche Bewegung, als Tom urplötzlich mit dem linken Arm durchs Fenster griff und sie am Kragen packte. Er riss sie nach vorn, gegen die Gitterstäbe, und drückte ihr seinen nassen, nach Bier und Tabak stinkenden Mund auf die Lippen. Seine Zunge schoss hervor und strich grob über ihre Zähne. Er betastete ihre Brust, kniff zu, versuchte ihre Warzen durch das Hemd zu ertasten, während sie den Kopf von ihm wegdrehte, ausspuckte und laut aufschrie.
»Was, zum Teufel, machst du da?«, rief der
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