Jeffery Deaver - Der Insektensammler1.doc
Missionar und ließ die Axt fallen. Er kam zum Fenster gerannt. Doch bevor er Tom wegziehen konnte, packte Mary ßeth die Hand, die ihre Brust befummelte, und riss sie mit aller Kraft nach unten. Sie rammte Toms Unterarm auf die spitzen Glasscharten, die aus dem Fensterrahmen ragten. Er schrie auf vor Schmerz und Schreck, ließ sie los und taumelte zurück. Mary Beth wischte sich den Mund ab und lief vom Fenster weg, ins Zimmer. Der Missionar schrie Tom an.
»Scheiße noch mal, warum hast du das gemacht?« Schlag ihn, dachte Mary Beth. Verpass ihm eine mit der Axt. Er ist verrückt. Übergib ihn ebenfalls der Polizei. Tom hörte nicht zu. Er hielt seinen blutigen Arm und untersuchte den Schnitt.
»Herrgott, Herrgott noch mal...«
»Ich hab dir doch gesagt, du sollst dich gedulden«, herrschte ihn der Missionar an.
»In fünf Minuten wär sie draußen gewesen, und in 'ner halben Stunde hätten wir sie bei dir daheim flachgelegt. Jetzt haben wir den Schlamassel.« Flachgelegt... Es dauerte einen Moment, bis Mary Beth die ganze Tragweite dieser Bemerkung begriff - sie hatten die Polizei überhaupt nicht verständigt, niemand kam, um sie zu retten.
»Mann, schau dir das an. Schau!« Tom hielt sein aufgeschlitztes Handgelenk hoch, sodass das Blut den ganzen Arm hinablief.
»Scheiße«, grummelte der Missionar.
»Das müssen wir nähen lassen, du Blödmann. Warum hast du nicht gewartet? Komm schon, wir lassen es verarzten.« Mary Beth sah, wie Tom hinaus auf die Wiese torkelte. Drei Meter vor dem Fenster blieb er stehen.
»Du Dreckstück! Bereite dich schon mal drauf vor. Wir kommen wieder.« Er blickte zu Boden, ging in die Hocke und war einen Moment lang verschwunden. Dann richtete er sich wieder auf, hatte einen Stein, etwa so groß wie eine Orange, in der heilen Hand. Er schmiss ihn durch die Gitterstäbe. Mary Beth torkelte zurück, als er ins Zimmer flog und sie um Haaresbreite verfehlte. Schluchzend sank sie auf das Sofa. Und wieder hörte sie Toms Ruf, als sie auf den Wald zuliefen.
»Bereite dich schon mal drauf vor!« Sie waren in Harris Tomels Haus, einem im Kolonialstil errichteten Gebäude mit fünf Schlafzimmern, das auf einem stattlichen, grasüberwucherten Grundstück stand, an dem der Mann nie einen Handgriff getan hatte. Tomels Rasenpflege beschränkte sich darauf, dass er seinen F-250 im Vorgarten parkte und seinen Subur-ban hinter dem Haus. Er machte das, weil er sozusagen der Musterknabe in ihrem Dreierbund war, mehr Pullover als Karohemden besaß und sich ein bisschen mehr ins Zeug legen musste, um als echter Kerl durchzugehen. Klar doch, er hatte im Bundesgefängnis gesessen, aber das war wegen ein paar mieser Hochstapeleien drüben in Raleigh gewesen, wo er Aktien von Firmen verkauft hatte, die den Nachteil hatten, dass es sie nicht gab. Er konnte hervorragend schießen, aber Culbeau hatte noch nie erlebt, dass er allein auf jemanden losging, von Mann zu Mann, jedenfalls auf niemand, der nicht gefesselt war. Außerdem dachte Tomel zu viel nach, verschwendete zu viel Zeit auf seine Klamotten. Bestellte immer den feinen Schnaps, sogar drüben bei Eddie's. Im Gegensatz zu Culbeau, der seine Einliegerwohnung tadellos pflegte, und auch zu O'Sarian, der fortwährend Kellnerinnen abschleppte, die seinen Wohnwagen in Schuss hielten, ließ Tomel Haus und Garten einfach verkommen. Vermutlich, so nahm Culbeau an, wollte er dadurch Eindruck schinden. Aber das war Tomels Angelegenheit, und die drei Männer waren nicht deswegen hier in diesem Haus mit dem verlotterten Grundstück und dem Rasenschmuck auf Rädern, um sich über Gartengestaltung zu unterhalten. Sie waren nur aus einem Grund hier - weil Tomel die Waffensammlung geerbt hatte, die alle anderen Waffensammlungen in den Schatten stellte, als sein Vater am Neujahrsmorgen beim Eisfischen in den Spivy Pond gefallen und erst im Frühjahr wieder aufgetaucht war. Sie standen in dem holzgetäfelten Herrenzimmer und musterten die Waffenschränke mit dem gleichen Blick, mit dem Culbeau und O'Sarian vor zwanzig Jahren vor dem Bonbonregal in Peter-son's Drugstore an der Maple Street gestanden und sich überlegt hatten, was sie klauen sollten. O'Sarian suchte sich den schwarzen Colt AR-15 raus, die zivile Version des M-16, weil er ständig und immer wieder über Vietnam lamentierte und sich jeden Kriegsfilm anschaute, den er finden konnte. Tomel nahm die herrliche Browning-Schrotflinte mit den Intarsien, auf die Culbeau mindestens ebenso scharf war wie auf
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