Jene Nacht im Fruehling
verraten, oder?«
Mike stand da und starrte sie an, während sich die widersprüchlichsten Empfindungen auf seinem Gesicht stritten. Er wußte, daß sie tun würde, was sie ihm da androhte. Er hatte in seinem Leben noch nie so einen Sturkopf erlebt wie diese Frau. »Zieh dir ein Kostüm an«, sagte er barsch, während er sich von ihr wegdrehte.
»Damit wir hinterher zum Essen gehen können?« fragte sie, aber er gab ihr keine Antwort darauf.
*
Samantha mochte das Pflegeheim nicht. Zum einen war es häßlich - steril häßlich. Alles darin war nur auf seine Zweckmäßigkeit hin ausgesucht worden, ohne auch nur an ein bißchen Schönheit zu denken. Die Böden bestanden aus diesen scheußlichen grauen Plastikplatten, die irgendein Wesen aus der Hölle erfunden haben mußte, und die Wände waren so blendend weiß gestrichen, daß man fast blind wurde, wenn man sie ansah. Alle Lampen waren fluoreszierende, in die Decke eingelassene Neonröhren, die so laut summten, daß eine geistig gesunde Person hier spätestens in drei Tagen den Verstand verlieren mußte.
Und zum anderen war es der Geruch, der sie störte -diese Mischung aus Medizin und Desinfektionsmitteln. Samantha wunderte sich zuweilen, wie die Leute es fertigbrachten, ein Gebäude nach Medizin riechen zu lassen. Schütteten sie etwa die Pillen aus diesen kleinen braunen Flaschen auf den Boden und zerstampften sie anschließend mit einem Mörser?
Samantha bei der Hand nehmend, blickte Mike auf sie hinunter und sah den Ekel auf ihrem Gesicht. »Das ist noch eines von den besseren Heimen«, erklärte er. »Manche von ihnen riechen nach Urin.«
Ungläubig schüttelte Samantha den Kopf und sah hinauf zur Decke. Dem Architekten, der hier mit der Gestaltung - besser gesagt, der Verunstaltung - der Innenräume beauftragt worden war, war es gelungen, die Tatsache, daß sich dieses Pflegeheim in einem schönen alten Gebäude befand, vollkommen zu verschleiern. Hoch über ihrem Kopf erspähte sie wunderschöne Stuckverzierungen, und die Wände waren mit diesen dicken Mörtelschichten überzogen, die in alten Häusern dafür sorgten, daß man so wenig von den Nachbarn hörte. Nur waren diese hier mit scheußlichen Fotokopien von Listen, Plänen und Verhaltensregeln bepflastert. Während Mike zur Aufnahme ging, um sich nach der Frau zu erkundigen, die er besuchen wollte, las Samantha in der Hausordnung. Um neun Uhr abends mußte das Licht auf den Zimmern ausgeschaltet werden; laute Musik war nicht erlaubt, speziell kein Rock ’n’ Roll, das Rennen auf den Gängen und das Tanzen im Speisesaal waren verboten, und Kaugummis waren sogar strikt untersagt. Sie fragte sich, welche Ereignisse in diesem Heim wohl dazu geführt haben mochten, daß man das Tanzen im Speisesaal, Rock ’n’ Roll und Kaugummis auf den Index gesetzt hatte.
»Oh, Abby«, sagte die Schwester von der Aufnahme mit einem kleinen Lächeln, das Wärterinnen in einem Tierasyl aufzusetzen pflegten, wenn man sich nach einem kleinen Hund erkundigte, der zwar allerlei Unfug anrichtete, aber sonst ein liebes Kerlchen war. Sie stand hinter einem mit einer Plastikplatte versehenen Pult, die an den Ecken ausgefranst, an den Kanten abgeplatzt und obenauf von unzähligen Kugelschreiberabdrücken förmlich gerastert war.
»Abby geht es im Augenblick ganz gut. Eine Zeitlang fürchteten wir schon, wir würden sie verlieren; aber dann fing sie sich wieder. Kommen Sie - ich werde Sie zu ihr bringen. Sie dürfen sich aber nicht wundern, wenn sie ein bißchen ungnädig ist. Sie ist zuweilen launisch.«
Samantha schloß sich nun Mike an, und sie folgten der Schwester durch einen langen Korridor, während Samantha sich fragte, ob Abby etwa geistig zurückgeblieben oder nur senil war.
Die Schwester öffnete eine dieser langweiligen grauen Türen, und sie betraten einen Raum, der so häßlich war wie alles, was Samantha bisher hier gesehen hatte. Das Zimmer war so sauber, daß Sam dachte, ein bißchen Staub könne dem Ganzen wenigstens einen dekorativen Schnörkel geben. An der Decke summten die obligaten Neonröhren und überzogen die grauen Bodenplatten, die weißen, so überaus weißen Wände und das Mobiliar aus nicht rostendem Stahl mit einem kalkigen Licht.
»Da sind wir ja«, sagte die Schwester so munter, wie sie nur konnte. »Ich hoffe, wir fühlen uns gut heute abend, denn wir haben Besuch!«
»Schleich dich«, sagte die Frau im Bett mit lauter Summe.
»Aber, aber Abby, so was sagt man doch nicht in Gegenwart
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