Jene Nacht im Fruehling
einsfünfundsechzig groß, habe graue Haare und einen Spitzbauch - und wenn er noch so jung ist, was kann er da schon von meiner Großmutter wissen? Glaubst du, er hat sie einmal in einem Rechtsstreit vertreten? Oder glaubst du, daß er wirklich etwas über sie weiß?«
»Ich schätze, da gibt es nur eine Möglichkeit, das herauszufinden, nicht wahr? Also zieh dich an, und dann fahren wir zu ihm.«
»Mike, du mußt nicht mit mir dorthin fahren. Ich kann mich allein mit ihm treffen, hierher zurückkommen und dir berichten, was er mir von Maxie erzählen konnte.«
Teils ärgerte, teils freute er sich darüber, daß Samantha ihn zu beschützen versuchte, denn nur aus diesem Grund hatte sie sich allein mit diesem Mr. Walden treffen wollen. Und dabei hatte er ihr doch gesagt, daß sie nicht mehr versuchen sollte, dem Geheimnis ihrer Großmutter auf die Spur zu kommen. Doch statt von diesem gefährlichen Unternehmen abzulassen, versuchte sie nun, ihre Nachforschungen vor ihm geheimzuhalten.
Er küßte sie sacht auf den Mund. »Ist dir bewußt, daß es bereits nach zwei ist? Wenn du eines von diesen Saks-Kostümen anziehen, dich frisieren und dich schminken willst, mußt du ...«
Sie war schon unterwegs zum Badezimmer, ehe er den Satz beenden konnte.
Um Viertel nach drei wurden Samantha und Mike von Mr. Waldens hagerer, etwas verkniffen aussehenden Sekretärin in dessen Büro geführt. Mit einem Trick, den Samantha empörend gefunden hatte - Mike hatte sie in die Damentoilette geschickt, während er sich zu einer sehr hübschen Empfangsdame gesetzt, sie durch halb gesenkte Wimpern angeblickt und nach Mr. Walden ausgefragt hatte -, hatte sie herausbekommen, daß Walden Strafverteidiger war. Er übernahm die Fälle der schlimmsten Verbrecher und bewahrte sie vor längeren oder lebenslangen Zuchthausstrafen. Die Empfangsdame hatte Mike, sich geziert schüttelnd, einige von den Unterwelttypen beschrieben, die zuweilen in Mr. Waldens Kanzlei kamen. Sie sagte, daß es Mr. Walden offenbar nichts ausmachte, wenn er dafür sorgte, daß die schrecklichsten Leute frei herumlaufen konnten.
»Verbindungen zur Unterwelt«, sagte Mike. »Kein Wunder, daß Nelson ihn kennt. Hast du was?«
Samantha ging so steif neben ihm her, als hätte sie Stelzen statt Beine. »Ich? Wie kommst du nur darauf? Oder meinst du, ich würde mich darüber aufregen, daß du dieser Dame die ganze Zeit in den Ausschnitt geschaut hast?«
Mike nahm lächelnd ihren Arm. »Sie hatte einen bemerkenswert hübschen . . .«
»Ich wußte ja gar nicht, daß du Kühe magst!« zischte Samantha durch die zusammengepreßten Zähne, entriß ihm ihren Arm und ging dann zwei Schritte vor ihm her.
Als sie dann Waldens Büro betraten, war Samantha wütend und Mike amüsiert. Mr. Walden, der genauso aussah, wie seine Sekretärin ihn beschrieben hatte, warf einen Blick auf die beiden, als sie vor seinem Schreibtisch Platz nahmen, und sagte: »Ich übernehme keine Scheidungsfälle.«
Lachend griff Mike nach Samanthas Hand, die auf der Sessellehne neben ihm ruhte, aber sie zog sie rasch weg. »Wir sind in einer ganz anderen Angelegenheit zu Ihnen gekommen. Durch die Vermittlung von Jubilee Johnson haben wir Ihren Namen erfahren.«
Mr. Waldens Gesicht verlor einen Moment seinen jovialen Ausdruck. Man konnte sich diesen Mann schwerlich als Strafverteidiger vorstellen, denn mit einer weißen Perücke, angeklebtem weißen Bart und roter Zipfelmütze hätte er der Idealvorstellung eines Kindes vom Weihnachtsmann entsprochen. »Ah, ja, Jubilee. Ich hoffe, er ist wohlauf und seiner Familie geht es gut.«
Es geschah in diesem Moment, daß Samantha Waldens linke Hand sah. Als sie in das Büro kam, war sie noch so wütend auf Mike gewesen, daß sie kaum auf ihre Umgebung geachtet und nur gedacht hatte: Dieser Walden macht einen so sympathischen Eindruck, daß er unmöglich etwas über Maxie wissen kann.
Und nun starrte sie seine linke Hand an, die vom Handgelenk bis zu den Spitzen des Ring- und des kleinen Fingers hinauf schwarz tätowiert war. Die Nägel dieser beiden Finger waren schwarz lackiert.
»Half Hand«, flüsterte sie, denn auf den ersten Blick sah es so aus, als würde ihm die halbe Hand fehlen. »Half Hand«, wiederholte sie etwas lauter, das Gespräch zwischen Mike und dem Anwalt unterbrechend.
Walden kam um seinen Schreibtisch herum, lächelte sie an und streckte ihr seine Linke hin. Samantha nahm sie, betrachtete sie und sah dann zu ihm auf: »Wer sind Sie und was
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