Jene Nacht im Fruehling
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Mike lächelte, aber mit einem Anflug von Traurigkeit, als er sich an den Tod von Kanes Frau erinnerte. Doch dieser Anflug von Trauer war nur von kurzer Dauer, weil in diesem Moment so laut wie ein Trompetenstoß »Daddy!« gerufen wurde und erst ein und dann ein zweiter kleiner Körper durch die Luft segelte. Kane fing die beiden noch vom Schlaf warmen Kinder mit den Armen auf und entfernte sich dann mit ihnen in Richtung Wohnzimmer.
»Sammy!« rief da einer von den Jungs und streckte den Arm zum Bett hin aus, damit Samantha ihnen folgen sollte, aber Mike schob sich rasch als Barriere vor die Tür und schüttelte den Kopf.
»Oh, nein, du Monster - ihr habt sie jetzt lange genug für euch gehabt. Jetzt gehört sie mir.« Er ging ins Schlafzimmer, machte die Tür hinter sich zu, drehte sich zu Samantha um, die gerade aufwachte, und zwirbelte mit den Fingern einen imaginären Schnurrbart.
»Und nun, mein hübsches ...«
»Mike«, sagte Samantha, sich im Bett aufsetzend. »Du kannst doch jetzt nicht... ich meine, es sind Leute im Haus.«
»Ein in meiner Familie alltäglicher Zustand«, erwiderte Mike, machte einen Satz aufs Bett, packte Samantha bei den Hüften und zog sie an sich.
»Mike, das kannst du jetzt wirklich nicht machen. Dein Bruder...«
»Sein Vater hat ihn aufgeklärt. Er glaubt nicht mehr an den Storch.« Mike fummelte am Saum ihres Nachthemds herum, jedoch auf eine sehr erfahrene Weise, während sie einen halbherzigen Versuch machte, seine Hand von ihrem Schenkel wegzuschieben. Einen sehr, sehr halbherzigen Versuch...
*
Als Samantha schließlich doch noch aus dem Schlafzimmer kam, fand sie Kane im Frühstückszimmer in die Lektüre des The Wall Street Journal vertieft, während die Zwillinge auf dem Boden saßen und aßen.
»Was essen die beiden denn da?« erkundigte sich Samantha, obwohl sie sehr genau sehen konnte, was ihr Vater ihnen zum essen gegeben hatte, doch sie wollte es von Kane selbst hören.
Kane schien dieser Frage wenig Bedeutung beizumessen, denn er schob seinen Kopf nicht einmal über den Rand der Zeitung hinaus, als er antwortete: »Plätzchen mit Coca Cola.«
Ohne ihren Vater erst um Erlaubnis zu fragen, nahm Samantha den beiden Kindern die mit Plätzchen beladenen Papierservietten und die Büchsen mit Coca Cola weg.
Nun schaute Kane doch an der Zeitung vorbei auf Samantha. Zwar war das, was sie soeben gemacht hatte, durchaus nichts Ungewöhnliches, denn jedes weibliche Wesen in seiner Familie hatte es, weiß der Himmel, viele Male - vergeblich - versucht, seinen beiden Söhnen so etwas wie Tischsitten beizubringen. Was ihn nun so sehr überraschte, war vielmehr, daß Samantha den Jungen das Essen weggenommen hatte, ohne daß beide ein Protestgeschrei anstimmten.
Kane schaute nun zu, wie Samantha erst zwei Kissen auf die Stühle am Tisch legte - seine Jungs aßen niemals an einem Tisch - sodann Handtücher über die Kissen breitete, um diese zu schützen, und schließlich die Jungen vom Boden aufhob und auf die Kissen setzte.
Da gab Kane den Versuch auf, so zu tun, als würde er die Zeitung lesen, sondern zählte im stillen die Sekunden, wie lange es dauern würde, bis die Jungen von den Kissen herunterhüpften und die Stühle umwarfen. Doch zu seinem grenzenlosen Erstaunen blieben die beiden ganz ruhig am Tisch sitzen, während Samantha Rühreier zubereitete, Weizenvollkorn-Scheiben toastete und den beiden ein Glas Milch einschenkte. Nun kannte Kanes Faszination keine Grenzen mehr, denn seines Wissens hatten seine Söhne seit Jahren nichts anderes gegessen als Grashüpferschenkel, Kletterrosendorne und ganze Jahresrationen von Zucker. Es gelang ihm ein paarmal, den Blick eines seiner Söhne aufzufangen, aber als er fragend die Brauen in die Höhe zog, beantworteten sie seine stumme Frage nur mit einem engelsüßen Lächeln, als würden sie jeden Tag Rühreier und Toast mit Milch - ohne diese zu verschütten - frühstücken.
Als die beiden ihre Teller leergegessen und ihre Milch ausgetrunken hatten, sah Kane zu, wie Samantha seinen Söhnen die Hände und Gesichter abwusch - wieder eine Premiere -, sich dann vor sie hinkniete und zwei Plätzchen in die Höhe hob.
»Was bekomme ich dafür?« fragte sie.
»Einen Kuß«, erwiderten die beiden im Chor. Das hörte sich an wie ein Lehrfilm für Kindererziehung aus den fünfziger Jahren.
Mit einem strahlenden Lächeln gab nun jeder der Zwillinge Samantha einen Kuß auf die reizende Wange, die sie den beiden darbot. Als die
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