Jene Nacht im Fruehling
verteidigte ihn, war aber froh, zu wissen, daß ich diesen Fall niemals gewinnen konnte. Am Abend vor seiner Hinrichtung bat er mich, in seine Zelle zu kommen, damit er mir seine gesamte Lebensgeschichte erzählen könne. Ich hätte Ihnen jetzt ja gern gesagt, daß er bereute, was er alles verbrochen hatte, aber er sagte zu mir, er wollte, daß ich das alles aufzeichnete, damit man einen Fernseh- oder Kinofilm über ihn drehen könnte wie über Al Capone.«
Walden blätterte in den Notizen, die auf seinem Schreibtisch lagen.
»Ich sagte ihm natürlich nicht, daß ich lieber sterben als ihn zu einem Volkshelden machen würde, aber ich schrieb alles auf, was er mir damals erzählte, für den Fall, daß man später versuchen sollte, einem meiner anderen Mandanten ein Verbrechen in die Schuhe zu schieben, das in Wahrheit er begangen hatte.«
Walden fuhr mit dem Finger über die Seiten seiner Notizen und sagte dann: »Ah, hier ist es. 1975. Himmel, war er aber aktiv in jenem Jahr! In den ersten sechs Monaten brachte er, vier, nein sogar fünf Menschen um - alles Mitglieder von Verbrecherbanden. Nein, hier, warten Sie, hier haben wir es.«
Kurz zu Mike hochblickend, fragte er: »Louisville, Kentucky, im Februar?« Er sah wieder auf das Blatt hinunter. »Abscheulich, wirklich abscheulich, diese Sache. Himmel, das hatte ich ja ganz vergessen! Er suchte damals nach Half Hands verschwundenen Millionen. Ich glaube, jemand hatte ihn dafür engagiert, aber er sagte mir nicht, ob er die Sache auf eigene Faust oder im Auftrag eines anderen unternommen hat. Ich denke, er wollte mich in dem Glauben lassen, er wäre intelligent genug gewesen, Leute umzubringen, ohne daß ihm ein anderer sagen mußte, wen, wann und wo.«
»Was hat er getan?« fragte Mike leise.
»Eine Frau getötet. Er erzählte mir, er habe einen Tip bekommen, daß jemand in ihrer Familie wüßte, wo Half Hands Geld hingekommen sei. Also fuhr er nach Louisville, entführte diese Frau und folterte sie eine Weile lang, um sie zum Sprechen zu bringen. Lassen Sie mich mal nachsehen -ja, er hielt sie an eine glühende Heizsonne, aber als ihm klar wurde, daß sie wirklich nichts wußte, schleppte er sie hinaus auf die Straße und überfuhr sie mit seinem Wagen. Er prahlte noch vor mir, wie die Frau ihn angefleht hatte, ihr kleines Mädchen zu verschonen. Deshalb blieb er noch ein paar Wochen, nachdem er die Frau getötet hatte, in der Stadt, redete mit diesem Mädchen und stellte ihm eine Menge Fragen, um herauszufinden, ob es oder sein Vater etwas von dem Geld wüßten. Er kam zu dem Schluß, daß das nicht der Fall war, und reiste daraufhin ab.«
H. H. sah von seinen Aufzeichnungen auf und die beiden vor seinem Schreibtisch an. Eben noch hatten sie sehr rosig und gesund ausgesehen, doch nun waren sie ganz grün im Gesicht. Der Mann griff nach der Hand der Frau, die sich um die Sessellehne gekrampft hatte, und in diesem Moment kam H. H. der Gedanke, daß die gefolterte Frau wahrscheinlich die Mutter dieser jungen Lady gewesen war.
»Ich . . . Ich . . .«, begann er, und dann wußte H. H. Walden, der noch nie um Worte verlegen gewesen war, nicht weiter.
Mike stand auf. »Mr. Walden, vielen Dank, daß Sie uns geholfen haben. Ich denke, wir werden jetzt besser wieder gehen.«
»Hören Sie - es tut mir leid, daß ich Ihnen diese Geschichte erzählt habe. Es war nicht meine Absicht.« Doch da gab es nun nichts mehr zu entschuldigen, und er blickte den beiden schweigend nach, die sich beeilten, sein Büro zu verlassen.
»Bist du okay?«, fragte Mike, als sie draußen auf der Straße waren.
Samantha nickte. »Ja. Wirklich, Mike, ich bin okay. Aber ich glaube, ich würde jetzt gern ein bißchen Spazierengehen. Allein. Wir sehen uns dann später wieder.«
»Bist du sicher?«
»Absolut.«
Als er fortfuhr, sie besorgt anzusehen, lächelte sie ein wenig, um ihn zu beruhigen, und legte ihm die Hand auf den Arm. »Mike, das ist alles vor langer, langer Zeit passiert. Ich hatte viele Jahre Zeit, um über den Tod meiner Mutter hinwegzukommen, und es spielt jetzt wirklich keine Rolle mehr, wie sie ums Leben kam. Tot ist tot - ob es nun ein Unfall oder ein Mord gewesen ist. Ich möchte jetzt nur ein bißchen allein sein. Vielleicht gehe ich in eine Kirche und setze mich dort eine Weile lang auf eine Bank.« Sie drückte kurz seinen Arm, lächelte noch einmal, um ihn zu beruhigen, und wandte sich von ihm ab.
Da faßte Mike sie am Arm und schwenkte sie wieder herum. Sie war
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