Jene Nacht im Fruehling
Natürlich wußte er nicht, daß sie damit mit allen bisher für sie geltenden Regeln brach. Ihr Vater und Richard hatten die Ansicht vertreten, daß es Arbeiten für Frauen und Arbeiten für Männer gab und beide nicht miteinander vermengt werden durften. In dem Haus, das sie zusammen mit ihrem Mann in Santa Fe bewohnt hatte, war sie für die Computer zuständig gewesen, und es war nicht selten vorgekommen, daß sie nachts, wenn sie von ihrem zweiten Job nach Feierabend heimkam, Richard schlafend in seinem Bett vorfand, der Computer aber noch eingeschaltet war und darauf wartete, daß sie alles, was er tagsüber dem Rechner eingegeben hatte, abspeicherte und dann die Maschine abstellte.
Nun, da er sie bei der groben Arbeit unterstützte, brauchte sie nicht lange dazu, den Rechner mit dem Monitor, der Tastatur und dem Laser-Drucker zu verbinden. Es dauerte ein bißchen länger, das Programm zu installieren, ein Autoexecutive-batch anzufertigen und noch ein paar andere Stapel-Dateien.
Sobald der Computer betriebsfertig war, sagte sie Mike, daß sie nun bereit wäre, ihn in die Grundlagen der Computeranwendung einzuführen. In den letzten vier Jahren hatte sie viele Leute in der Benützung eines Computers unterwiesen und war dabei mit einer Vielzahl bizarrer Probleme konfrontiert worden.
Doch nicht einmal in diesen vier Jahren hatte sie einen so schwierigen Schüler wie Mike gehabt, der offenbar nichts von dem behalten konnte, was sie ihm sagte. Aus ihrer Erfahrung als Lehrerin wußte sie, daß Geduld die wichtigste Voraussetzung für dieses Geschäft war, aber nach zwei Stunden platzte ihr allmählich doch der Kragen.
Sie ertappte sich dabei, wie sie ihn anzuschreien begann: »F sieben und nicht die Zahl sieben!« Doch Mike hämmerte abermals auf die Taste mit der Zahl sieben und sah sie dann mit großen Unschuldsaugen an.
Zehn Minuten später war sie mit ihrer Geduld am Ende. Sie packte ihn mit beiden Händen am Hals und begann ihn zu würgen. »Die F-sieben-Taste! Haben Sie gehört? Die F-sieben-Taste!«
Lachend zog Mike sie in seine Arme, und sie purzelten zusammen auf den Fußboden. Da begriff sie, daß er sich nur dumm gestellt hatte, weil er wissen wollte, wie weit er gehen konnte, bis sie die Beherrschung verlor.
Als sie sich von ihm wegrollte, war sie außerordentlich ungehalten. Warum versuchte er stets, sie dazu zu bringen, daß sie sich über ihn ärgerte?
»Ich bitte Sie, Sam«, sagte er. »Warum sind Sie denn immer gleich eingeschnappt? Sie werden doch wohl nicht wieder in die Haut der kleinen, prüden Miss mit der strengen Frisur schlüpfen, oder?«
Sie hätte jetzt eigentlich in ihr Apartment hinaufgehen und ein Buch lesen sollen. Statt dessen drehte sie sich um, sah ihn auf dem Wohnzimmerteppich sitzen und mußte gegen ihren Willen lächeln. »Sie können einem wirklich auf die Nerven gehen, wissen Sie das?«
Ehe sie auch nur eine Bewegung machen konnte, küßte er sie auf den Hals. »Wenn ich Ihnen die Zettel mit meinen Notizen gebe und Sie diese in den Computer eingeben würden, brauchten Sie sich nicht zu ärgern, oder?«
»Ich verstehe. Ich soll für Sie die Arbeit machen, und Sie ernten dann die Früchte.«
»Ich teile alles mit Ihnen«, sagte er leise, jedes Wort betonend.
Samantha schob ihn von sich weg. »Lassen Sie mich zuerst eine Datenbank einrichten, und dann kann ich damit anfangen, dem Computer Ihre Informationen einzugeben.«
Als er sich nun mit einem selbstgefälligen Lächeln vom Teppich erhob, wußte sie, daß er bekommen hatte, was er wollte: eine Sekretärin.
Eine Stunde später war sie ihm deswegen nicht mehr böse; denn was Mike ihr zum Eintippen gab, war interessant. Er hatte auf ungefähr hundert Seiten Informationen über zahlreiche Gangster zusammengetragen, die etwas mit Tony Barrett zu tun hatten. Sie las solche Namen wie Nails, Hop Toad, Mad Dog, the Waiter, Half Hand Joe und Gyp the Blood mit großem Interesse.
Je mehr sie las, desto neugieriger wurde sie auf Tony Barrett, der vielleicht oder vielleicht auch nicht als ihr biologischer Großvater in Frage kam. Doch über ihn selbst gaben ihr Mikes Notizen nur spärliche Auskünfte. Als sie ihn fragte, warum denn so wenig über Barrett in seinen Notizen stand, wo er doch der Gegenstand dieser Biographie sein sollte, gab ihr Mike keine direkte Antwort, sondern seine Aufzeichnungen über das Massaker vom 12. Mai des Jahres 1928.
Die Fakten dieses Tages im Jahr 1928 einzugeben, machte ihr keine Freude. Die
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