Jene Nacht im Fruehling
an.
»Ich habe doch nur Spaß gemacht.«
Sich von ihr wegdrehend, ging er zur Tür. »Ich gebe Ihnen fünfzehn Minuten und erwarte, Sie dann unten im Erdgeschoß zu sehen. Sie können nicht hier oben in diesem Mausoleum bleiben.« Er musterte stirnrunzelnd die dunklen Möbel und Vorhänge. »Es bekommt Ihnen nicht, auf die Dauer in diesem Schrein Ihres Vaters zu wohnen.« Und dann verließ er das Zimmer, ehe Samantha sich auf eine passende Antwort besinnen konnte.
*
Samantha verbrachte auch diesen Tag mit Mike. Eines mußte man ihm lassen, überlegte sie: Der Umgang mit ihm war erfrischend unkompliziert. Er war ihrem Vater und ihrem Ex-Gatten so unähnlich, wie man das überhaupt nur sein konnte. Ihr Vater und Richard waren beide vereidigte Bücherrevisoren und Wirtschaftsprüfer gewesen, und vielleicht war das der Grund, weshalb sie einen übertriebenen Ordnungssinn entwickelt hatten. Beide Männer hatten stets verlangt, daß alles an seinem Platz zu sein habe - einen Platz, den sie selbst bestimmt hatten.
Samantha hätte zuweilen schreien können, wenn sie sah, wie Richard ihren Kühlschrank organisiert hatte. Ihrer - oder vielmehr seiner - Vorstellung nach war es bereits ein Akt der Zügellosigkeit, wenn sie das Brot dort ablegte, wo eigentlich die Milchtüten hingehörten. Als er einmal über Nacht verreisen mußte, hatte sie alles aus dem Kühlschrank herausgenommen und dann an ganz andere Stellen wieder eingeräumt. Sie hatte sogar das Brot auf drei verschiedene Fächer verteilt - etwas, das bei Richard einen Wutanfall ausgelöst hätte. Natürlich hatte sie, bevor er von seiner Reise zurückkehrte, alles wieder so angeordnet, wie er es für richtig befand.
Mike war nicht so wie Richard oder ihr Vater. Mike schien keine festen oder unabdingbaren Regeln für irgend etwas zu haben. Er aß nicht nach der Uhr, sondern wenn er Hunger hatte.
Und er konnte sich selbst verpflegen! Für Samantha war das ein Wunder. Nachdem ihre Mutter gestorben war, hatte sie die Plichten einer Hausfrau übernommen, und dazu gehörte auch die Verpflegung ihres Vaters. Sie hatte um acht Uhr morgens, um zwölf und halb sieben Uhr abends Mahlzeiten zuzubereiten, und als sie heiratete, änderte sich an diesem Zeitplan nichts. Nachdem sie einmal bei einer Dinner-Party in Santa Fe zwei Glas Wein getrunken und jemand die philosophische Frage aufgeworfen hatte, was es bedeutete reich zu sein, hatte Samantha, ehe sonst jemand etwas sagen konnte, verkündet: »Eine reiche Frau ist eine Frau, die, wenn sie in der unmittelbaren Nachbarschaft eines Mannes lebt und dieser Mann sagt, er sei hungrig, nicht die Pflicht hat, ihn zu verpflegen. Diese Frau ist wahrhaft reich.« Jeder am Tisch hatte daraufhin unbändig gelacht, ausgenommen Richard, der wütend gewesen war und nach der Party mit ihr über ihre »Neigung zum Alkoholismus« gesprochen und ihr »empfohlen« hatte in Zukunft alle alkoholischen Getränke zu meiden.
Mike war nicht so wie die beiden Männer, die sie gekannt hatte, denn er schien überhaupt keine Regeln zu kennen, höchstens solche, die man vielleicht auf den Nenner bringen konnte: >Wenn es dir bekommt, tue es.< Als er sah, wie Samantha zwei von seinen Hemden, die er über einen Stuhl geworfen hatte, aufnahm und sie, ohne zu überlegen, was sie tat, auf einen Bügel hängte, riß er ihr das dritte aus der Hand und warf es auf die Couch. »Ich habe eine Zugehfrau«, sagte er.
Peinlich davon berührt, daß sie etwas getan hatte, was eigentlich zu den Pflichten einer Ehefrau gehörte, ging Samantha zu dem Kartonstapel in der Ecke des Zimmers. Als sie das Klebeband des obersten Kartons durchschnitten hatte und die Faltdeckel zurückschlug, atmete sie tief ein, was für moderne Menschen inzwischen zu einem himmlischen Geruch geworden war - den Duft von neuem Vinyl. Mike lachte, als er ihr verklärtes Gesicht sah, was Samantha abermals in Verlegenheit versetzte. Doch sie hatte bereits entdeckt, daß Mike sich nicht nur gern über andere, sondern auch über sich selbst amüsierte - ganz im Gegensatz zu ihrem Ex-Gatten, der sich für sakrosankt gehalten hatte.
»Ein neues elektronisches Gerät riecht bestimmt besser als das billige Parfüm, das Sie zu bevorzugen scheinen«, zischte sie ihn an und brachte ihn abermals zum Lachen.
Sie hatte so eine Ahnung, daß er sich bequem zurücklehnen und Zusehen wollte, wie sie den Computer mit den entsprechenden Peripherie-Geräten verband, und sie verlangte, daß er ihr dabei helfen sollte.
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