Jene Nacht im Fruehling
weg.
»Michael Taggert, wenn Sie mir nicht sagen, was Sie wissen, werde ich ... werde ich ...«
»Was?« fragte er verdrossen. »Was kannst du mir denn noch antun? Daß ich dein Leben in Gefahr bringen soll? Daß du mich erpreßt? Daß du in weißen Shorts und weißem T-Shirt vor mir auf- und abläufst und laut >Hilfe< schreist, wenn ich dich anfasse?«
»Ich werde Raine Montgomery küssen«, erwiderte sie. »Ich werde mit ihm ausgehen. Ich werde jeden Abend mit ihm ins Autokino fahren und ...«
Mike drehte sich auf den Absätzen herum und schickte sich an, ihre Wohnung zu verlassen.
Sie faßte ihn am Arm. »Mike, warte bitte. Kannst du mich denn nicht verstehen? Was würdest du denn tun, wenn du plötzlich entdecken würdest, daß dein Onkel Mike gar nicht tot ist? Oder daß zumindest die Möglichkeit besteht, daß er noch am Leben ist? Würdest du da nicht alles unternehmen, was in deinen Kräften steht, um ihn zu finden? Um ihn vielleicht noch einmal sehen zu können, ehe er wirklich das Zeitliche segnet? Meine Großmutter ist über achtzig, ich habe keine Zeit mehr zu verlieren. Bitte, sag mir, was du weißt. Bitte!« Sie hob die rechte Hand und berührte damit seine Wange.
Er nahm ihre Hand und küßte sie abermals auf den Handteller. »Sam, du stellst seltsame Sachen mit mir an. Du verwandelst mich wieder in einen kleinen Jungen.« Er holte tief Luft. »Dein Vater erzählte mir, daß deine Großmutter vor zwei Jahren noch am Leben gewesen sei.«
*
Samantha betrachtete sich prüfend im Spiegel, der in der Vorhalle hing, um sich zu überzeugen, daß ihr Kostüm keine Falten warf und ihr Haar so saß, wie es ihr die Friseuse empfohlen hatte. Dann legte sie ihre Handtasche auf den kleinen Garderobentisch und vergewisserte sich, daß sie ihre neue Kreditkarte und Bargeld eingesteckt hatte. Als ihr nichts mehr einfiel, was sie sonst noch überprüfen oder machen könnte, um das hinauszuschieben, was sie sich vorgenommen hatte, legte sie die Hand auf die Klinke, straffte ihre Schultern und öffnete die Haustüre.
Sie wollte sich ganz allein auf den Weg durch New York machen. Diesmal würde sie nicht nur um einen Häuserblock herumgehen, sondern einen ganzen Nachmittag allein in der Stadt zubringen.
Nachdem sie die Tür hinter sich abgeschlossen hatte, stieg sie die Vortreppe hinunter. An diesem Morgen hatte Mike ihr eröffnet, daß ihre Großmutter vor zwei Jahren noch am Leben gewesen sei. Er hatte ihr gesagt, daß ihr Vater vor zwei Jahren eine Postkarte von seiner Mutter erhalten hatte, und es war diese Postkarte gewesen, die in David Elliot den Entschluß reifen ließ, nach New York zu fahren, um dort nach seiner Mutter zu suchen. Die Postkarte war eine schlichte Mitteilung gewesen, daß sie ihn liebte, ihn immer geliebt habe, und daß sie hoffte, er würde ihr verzeihen. Und diese Zeilen waren mit >Deine Mutter< unterschrieben gewesen.
Zu der Zeit, als Dave diese Postkarte erhielt, hatte er noch sein Büro als Wirtschaftsprüfer geleitet und konnte sich nicht einmal Urlaub nehmen, um nach New York zu fliegen. Aber sofort nach dem Erhalt dieser Karte hatte er die erforderlichen Maßnahmen für seine vorzeitige Pensionierung eingeleitet, um nach seiner Mutter forschen zu können.
Dann - mag man das nun als eine glückliche Fügung, einen Wink des Schicksals, Kismet oder einen Akt der Vorsehung bezeichnen - war Mike ein halbes Jahr nach dem Eintreffen der Postkarte vor Daves Haustür erschienen und hatte ihn gefragt, ob dessen Mutter einmal eine Affäre mit einem Gangster namens Doc gehabt habe.
Diese schlichte Frage hatte den Grundstein zu einer Freundschaft gelegt, die schließlich darin gipfelte, daß Dave Mike die Vormundschaft für seine Tochter Samantha übertrug. »Das Eigentumsrecht an ihr«, hatte Samantha gemurmelt, als Mike ihr diese Geschichte erzählte.
»Ein seltsames Eigentumsrecht«, hatte Mike in gespielter Verzweiflung erwidert. »Wenn die Besitzurkunden in einem Safe verschlossen bleiben, zu dem ich die Kombination nicht kenne.«
Mike war sehr aufgeregt gewesen über Sams Eröffnung, daß sie vorhatte, in New York zu bleiben, und Samantha argwöhnte, daß er sich vorgenommen hatte, sie aus allen seinen Unternehmungen herauszuhalten. Da Sam wußte, daß er sich die Schuld gab für den Mordanschlag auf sie, vermutete sie, daß er vorhabe, sie keine Sekunde aus den Augen zu lassen, und die beste Methode, sie zu kontrollieren, bestand darin, ihr wichtige Tatsachen vorzuenthalten.
Nach
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