Jene Nacht im Fruehling
eine Augenbraue in die Höhe: »Eine Sache für Männer?«
Er drückte ihre Hände. »Komm mir bitte nicht mit diesem Quatsch! Ich rede jetzt nicht davon, wer für das Geschirrspülen zuständig sein soll, hier geht es um Leben oder Tod.«
»Und was bringt dich auf die Idee, daß du ein besserer Detektiv wärst als ich? Du recherchierst jetzt schon zwei Jahre lang, aber ich habe in zwei Wochen mehr herausgefunden als du in diesen zwei Jahren.«
»Herausgefunden?« wiederholte Mike, fast erstickend an diesem Wort. »Was meinst du damit? Etwa die Würgmale an deinem Hals?«
Sie versuchte, ihm ihre Hände zu entziehen, aber er hielt sie fest.
»Sie ist meine Großmutter. Sie war mit einem schrecklichen Mann liiert, und mein Vater wollte, daß ich nach ihr suche.«
»Dein Vater hatte keine Ahnung, daß seine Mutter mit Gangstern liiert war - zumindest nicht mit echten Gangstern. Heutzutage klingt das Wort Gangster relativ harmlos. Außerdem glaubte dein Vater, sie wäre aus Liebe von zu Hause weggelaufen.«
»Und weshalb ist sie deiner Meinung nach weggelaufen?«
Mike brachte sein Gesicht so dicht an das ihre heran, daß sich ihre Nasen fast berührten. »Geld. Mord. Weil sie etwas wußte. Sie könnte eine Million Gründe gehabt haben - vielleicht sogar drei Millionen. Aber ein ehrenwerter war mit Sicherheit nicht darunter, und deshalb wirst du nach Maine fahren, wo du in Sicherheit bist.«
Sie holte tief Luft. Er konnte sich noch sehr anstrengen - es würde ihm nicht gelingen, sie dazu zu bringen, ihren Entschluß wieder umzustoßen. Andererseits wollte sie natürlich auch in seinem Haus bleiben. Es war behaglich hier. Und, okay, ja, Mike war ihr auch nicht mehr so fremd wie am Anfang, und falls sie tatsächlich noch einmal Hilfe brauchen sollte - rein hypothetisch natürlich nur -, reagierte er ziemlich schnell.
»Mike«, fragte sie, »Warum stellst du Recherchen über diesen Mann an?« Sie blickte ihn aus schmalen Augen an. »Die Wahrheit. Ich möchte die Wahrheit hören, nicht eine von deinen Lügen, und wenn du sie noch so schön garnierst.«
Er ließ ihre Hände los, stand auf und ging ans Fenster. »Ich tue es für meinen Onkel Mike«, sagte er und drehte sich dann zu ihr um. »Erinnerst du dich daran, wie Doc sagte, Scalpinis Männer hätten eine Menge unschuldiger Leute in diesem Nachtklub erschossen?«
Sie nickte.
»Mein Onkel Mike arbeitete dort. Er tanzte mit den Frauen, deren Ehemänner und Freunde zu dick waren zum Tanzen, und er befand sich auf der Tanzfläche, als Scalpinis Männer in den Klub stürmten. Er bekam zweiunddreißig Kugeln ab - unter der Gürtellinie.«
»Zweiunddreißig«, flüsterte sie. »Und die hat er überlebt?«
»Mit knapper Not. Er schwebte lange zwischen Leben und Tod, doch er überlebte nicht nur, sondern lernte sogar an Krücken wieder zu gehen. Er und mein Großvater dienten zusammen in der Marine, wo Mike damals meinem Großvater das Leben rettete. Als nun Mike Hilfe brauchte, war mein Großvater zur Stelle. Er brachte ihn nach Chandler, besorgte für ihn die besten Ärzte, die es auf diesem Gebiet gab, und half ihm wieder auf die Beine. Onkel Mike wohnte in einem kleinen Haus hinter unserem.«
»Und er war dein Freund?«
»Der beste aller Freunde. Manchmal kann jemand in einer Familie, die so groß ist wie meine, untergehen, aber Onkel Mike hatte immer Zeit für mich. Er verlor nie die Geduld mit mir und ergriff, wenn ich Streit hatte oder in einer Klemme saß, immer für mich Partei - selbst wenn ich im Unrecht war.«
»Hört sich so an, als wäre er ein sehr netter Mensch gewesen.«
»Das war er.«
Als sie zu ihm hochblickte, sah sie die Trauer in seinen Augen und wußte nun, daß sie etwas teilten - den Verlust von geliebten Menschen. »Und du willst dafür sorgen, daß Doc für das, was deinem Onkel Mike angetan wurde, zur Rechenschaft gezogen wird?«
»Etwas in dieser Richtung, ja.«
»Ist dir bewußt, daß du deinem Onkel wahrscheinlich niemals begegnet wärest, wenn Scalpini nicht auf ihn geschossen hätte? In meinem Fall war es eine bereits bestehende harmonische Gemeinschaft - eine glückliche Familie -, die vermutlich aus Gründen, die mit jenem fatalen Abend im Jahr 1928 Zusammenhängen, auseinanderbrach. Habe ich folglich nicht ein Recht darauf, zu erfahren, was damals passiert ist? Zu erfahren, was meine Großmutter dazu zwang, ihre Familie zu verlassen?«
Er setzte sich wieder neben sie auf das Sofa. »Natürlich hast du ein Recht darauf.
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