Jene Nacht im Fruehling
unteren Preisklasse feil: billige Kunstseide-Röcke, Bilderrahmen aus Plastik und Ohrringe, die einem die Ohrläppchen grün verfärbten.
Was Samantha jedoch auf der Madison Avenue sah, waren Auslagen mit den herrlichsten Sachen - mit den besten Produkten, die die Welt zu bieten hatte. Sie sah Schaufenster mit so teuren Kleidern, daß Aufpasser an der Ladentür standen und nur solche Kunden eintreten ließen, die vor ihren kritischen Blicken Gnade fanden. Als ein gutaussehender junger Mann in einem wunderschönen maßgeschneiderten Anzug Samantha lächelnd die Ladentür eines dieser Geschäfte aufhielt, hatte sie das Gefühl, als habe man ihr die Eintrittskarte in die Welt der Reichen und Mächtigen überreicht. Als sie das Geschäft betrat, wandelte sie über den üppigen Flor dezenter grauer Auslegware zwischen mit Spiegeln verkleideten Wänden und betrachtete Waren, die soviel kosteten, wie manche Leute im ganzen Jahr verdienten - zumeist Frauen, die zu Hause und in unterbezahlten Positionen schufteten, wie Samantha in Gedanken mit leiser Verbitterung anmerkte.
Sie betrat, von den Türstehern ermutigt, ein Geschäft mit exquisiter Nachtwäsche und bezahlte dort, einem Impuls folgend, viel zuviel für ein Nachthemd aus weißem, durchsichtigen Baumwollbatist mit pinkfarbenen Schleifchen am Halsausschnitt.
Sie passierte die Auslagen von Giorgio Armani, Gianni Versace und Yves Saint-Laurent. Es war bei Valentino’s, wo ihr bewußt wurde, wieviel Geld Mike tatsächlich für die Kleider ausgegeben hatte, die sie bei Saks gekauft hatte, denn sie erblickte dort ein Kostüm, das dem, das sie anhatte, zum Verwechseln ähnlich sah, und der Preis dafür war mit dreitausendvierhundert Dollar angegeben.
»Ist Ihnen nicht gut?« fragte eine der hübschen jungen Verkäuferinnen sie besorgt.
»Doch, schon«, gelang es Samantha zu stammeln, nahm aber dankbar den Becher mit eisgekühltem Mineralwasser entgegen, den man ihr brachte. Einesteils war sie wütend auf Mike, daß er sie so maßlos getäuscht hatte, und anderenteils freute sie sich auch maßlos; denn welcher Frau gefiele es nicht, wenn man ihr Geschenke machte? Und sie konnte nicht umhin, sich zu fragen, wann Mike denn die Zeit gefunden hatte, mit seiner Kusine die Einzelheiten dieses Betrugsmanövers zu besprechen, wie man ihr vorspiegeln konnte, daß sie sich die Kleider, die sie kaufte, auch leisten konnte und in der Lage wäre, sie bar oder in bequemen Raten zu bezahlen.
Als sie Valentino’s wieder verließ, war sie zunächst unschlüssig, was sie nun tun sollte. Zu Mike zurückkehren und ihn mit ihrer Entdeckung konfrontieren? Allerdings schien es ihr kein sonderlich nettes Verhalten zu sein, ihm wütend Vorhaltungen zu machen, weil er ihr so wunderschöne Kleider für mehrere tausend Dollar gekauft hatte. Vielleicht würde ihr später etwas einfallen, mit dem sie >Dankeschön< sagen konnte.
Mit erhobenem Kopf - es verletzte weder ihren Stolz noch ihr Selbstwertgefühl, sich nun der Tatsache bewußt zu sein, daß sie in einer Garderobe, die ungefähr fünftausend Dollar gekostet hatte, durch New York pilgerte -setzte sie ihren Weg durch den wilden, ungezähmten Asphaltdschungel der Metropole fort. Als sie eine Auslage mit antikem Schmuck betrachtete, dachte sie, daß die echte Gefahr dieser Stadt in ihren Waren bestand.
In der Zweiundsiebzigsten Straße betrat Samantha das Wunderwerk eines Ladens, das Ralph Lauren erschaffen hatte, und durchwanderte alle Etagen, wobei sie nicht nur die hier ausgestellten Produkte, sondern auch die Einrichtung bestaunte. Sie benutzte die wunderschöne Toilette im Untergeschoß und fuhr dann wieder nach oben, um sich eine Markasitbrosche zu kaufen, die ihr aus der Epoche Eduards VII. zu stammen schien.
Nachdem sie das Geschäft wieder verlassen hatte, blickte sie nach Westen zur Fifth Avenue hin, wo die Anlagen des Central Park sie aus der Ferne grüßten. Also setzte sie ihren Streifzug in dieser Richtung fort, sich überlegend, ob sie vielleicht im Central Park Spazierengehen sollte. Aber wenn New York Santa Fe, was das Warenangebot anlangte, um Längen schlug, konnte doch kein Ort der Welt Santa Fe in punkto Szenerie und Grünanlagen übertreffen.
Statt also in den Park hineinzugehen, bog sie nach links ab und wanderte die Fifth Avenue hinunter, wobei sie zu den Fenstern der Gebäude hinaufblickte, die auf den Park hinaussahen, und sich fragte, was für berühmte Leute wohl in diesen Häusern wohnen mochten. Dort, wo der
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