Jennerwein
insgeheim ausgemalt hatte. Jetzt war sie schon ganz nackt. Nackt in seinen Armen. Stöhnte. Biß ihn zwischendurch. Und dann schlüpfte ihre Hand zwischen seine Schenkel, faßte zu.
Den Schock fühlte der Pföderl herangrellen, die Erinnerung an das Puff in München. Die ganzen Wochen schon, während er doch andererseits so bärig auf die Agatha gewesen war, hatte er sich vor diesem Augenblick gefürchtet. »He, willst du mich mit so einem Hasenschwanzerl mausen?« lachte, girrte sie ihm nun ins Ohr. Ins Eisige schien der Hans abzugleiten, trotz ihres streichelnden, lockenden Griffs. Verzweifelt kämpfte er gegen das hinterfotzige Gefühl an – und dann schlierte er auf einmal mental weg, in den Westerberger Forst. Hinter der Spielhahnfeder sah er sich wieder herhetzen; die Büchse, den Stahl feuerbereit. Einen Schuß hörte er knallen, eine Kugel meinte er ins nachgiebige Fleisch hineinklatschen zu sehen. Ein geiles Keuchen riß es ihm aus dem Rachen, in den Armen der Agerl befand er sich jäh wieder; gleichzeitig spürte er ihr freudiges Erstaunen. Über sie warf er sich, drängte sich hinein zwischen die bebenden Schenkel; kraftvoll jetzt, kraftvoll wie nie. Er nahm die Agatha her, unersättlich, und nachher, als sie wie erschlagen stöhnte: »Bei der Himmelsmutter, bist du vielleicht ein Stier!«, da hatte er plötzlich das Empfinden, daß es mit ihr Liebe sein könnte; etwas Ungeheuerliches über das Haarige, Glitschige und Wollüstige hinaus.
Später in der Nacht, über die Enzianflasche hinweg, schwor er es ihr zu: »Heiraten werden wir, Agerl, weil du die einzige bist für mich! Keine andere werd’ ich mehr anschauen, mein ganzes Leben nicht! Auf Händen werd’ ich dich tragen, wirst’s schon sehen!«
Die Agatha, realistischer als er, trotz des erotischen Nachbebens, nahm es mit unergründlichem Lächeln hin. Und bat ihn dann unvermittelt, sich nicht gerade jetzt einen anzusaufen: »Die Leut’ reden eh schon über dich. Daß du gern einen über den Durst trinkst. Aber ich, wenn ich einmal heiraten sollte, mag keinen Säufer.«
Brav wie ein Lamperl {75} tat ihr der Hans den Gefallen, stellte die Flasche weg und kroch erneut zu ihr. Erziehen ließe er sich also noch, stellte die Sennerin zufrieden bei sich fest, und dann, weil genau diese Überlegung sie erneut kitzelte, prüfte sie handfest nach, ob der Jäger vielleicht gar noch einmal fürs Aufsitzen gut wäre.
Er war’s, den ganzen Sommer hindurch auf der Alm, und später, als die Agatha unten im Tal wieder ihre Kammer auf dem Baumgartner-Hof bezogen hatte, gab es das Giebelfenster und die Heuleiter. Den Winter über, als überall die Vereinsund Feuerwehrbälle abgehalten wurden, sprach es sich zwischen Tegernsee und Schliersee allmählich herum, daß die beiden fest miteinander gingen.
In ruhigere Bahnen schien das Leben des Johann Pföderl also einzumünden; die Geierfeder auf seinem Hut hatte viel an Bedeutung für ihn verloren, auch wenn er sie nach wie vor trug. Sein alter Haß auf die Welt, das Geprügelte in ihm schienen sich in diesem Winter mehr und mehr verflüchtigen zu wollen. In seine kleine, fleischwarme Welt spann sich der Jagdgehilfe ein, und selbst die Tatsache, daß im Januar 1874 die Sozialdemokraten ganz erstaunliche Erfolge bei den zweiten Reichstagswahlen verbuchen konnten, entlockte ihm lediglich ein unwirsches Raunzen; früher hätte er angesichts eines solchen Torts {76} ausufernd im Wirtshaus gesoffen, hätte schwadroniert und möglicherweise auch gerauft.
Im Frühling des 74er Jahres dann trieb die Agatha ihre Herde wiederum auf; heuduftig wurden ihre und des Jägers Nächte erneut. Daß im Reich der Kulturkampf {77} begonnen hatte, juckte weder sie noch ihn. Vielmehr begann Johann Pföderl jetzt immer stärker auf eine baldige Hochzeit zu drängen, und die Sennerin – er spürte es ganz genau – wünschte sich ebendas von ihm.
Ins Balzen und Werben brach jedoch, um die Maimitte herum, einer ein, den der Tegernseer Jäger fälschlicherweise schon unter die Toten, die Ungefährlichen zumindest, gezählt hatte.
*
Über den Risserkogel und den Blankenstein kehrte Georg Jennerwein heim; den windumpfiffenen Gemsenwechseln folgte er auf seinem Weg, bloß so, aus Trotz. Unter dem Umhang trug er den Stutzen, im Lendenfleisch die Kugel. Hagerer war er geworden, kantiger im Gesicht, tiefäugiger. Schiefer denn je schien ihm die Spielhahnfeder hinterm Hutband zu sitzen. So erreichte er zuletzt den Westerberg und den
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