Jennerwein
Ruf »HaltBleibStehn!« bellte er aus sich, zog gleichzeitig den Stecher durch bis zum winzigen Widerstand. Wiederum ein Herzhämmern später, als droben in den Latschen etwas ausbrechen, fliehen wollte, gab er Feuer. Dem grell gleißenden Strahl nach dachte er zuckend: Wird mir keiner einen Vorwurf machen können! Hab’ sie eingehalten, die Ordres! Hab’ es auf meiner Seite, das Recht!
»Scheißdreck!« röhrte es ihm unmittelbar darauf mit dem Aufschlagen der Kugel aus dem Rachen. Nichts als Steingrus splitterte weg unter dem Wolkentreiben, fehlgegangen war der Schuß – und dann flatterte mit pfeifenden Schwingen der Lämmergeier weg, der den Pföderl die ganze Zeit über genarrt hatte. Schwang sich auf unters triste Firmament, strich wie höhnisch ab und ließ dem Sudelschützen nichts zurück als eine bräunlich gemaserte Feder, die wenig später direkt vor seinen Füßen landete.
Zuerst war Johann Pföderl versucht, sie in den Waldmodder, ins dumpf riechende Laub zu trampeln, doch dann schnitt ihm erneut das schwarzweiße Spielhahngleißen durchs Mentale und verschlierte sich auf einmal mit dem Aasfarbigen des Geierkiels – und schien sich mit dem zu beißen, schien zu raufen damit. Das Ruppige, das Todes- und Leichensymbol, siegte zuletzt; ein keckerndes Lachen ließ der Jäger hören, er bückte sich und hob die Geierfeder auf. Steckte sie sich hinters Hutband, setzte ein aasfarbenes Zeichen damit gegen den, der ihm heute doch noch einmal ausgekommen war; schwor sich unter der wippenden Trophäe, daß er trotzdem nicht aufgeben wolle, daß er die Jagd von nun an nur um so wütender betreiben werde.
So stieg Johann Pföderl zu Tal unter dem spätherbstlichen Himmel und ging am nächsten Tag neuerdings auf die Menschenpirsch, und mit jedem haßerfüllten Waldgang, den er in den folgenden Monaten tat, wurde die Geierfeder ein Stück mehr ein Teil von ihm, und er sollte sie tragen und sie anbeten bis zum Ende seines Weges. {73}
Vorerst freilich ließ ihn Georg Jennerwein, der längst von der Anwesenheit des alten Feindes und auch von dessen Absichten erfahren hatte, immer wieder in die Irre laufen. Johann Pföderl mochte lauern, soviel er wollte; der Spielhahn war doch immer wieder schneller und listiger als der Geier; der Girgl hatte den todesverachtenden Spaß und der andere das Nachsehen, mit der Zeit dann den Spott. Auf diese Weise ging der Winter herum und drehte sich das 72er Jahr ins 73er hinein; im Frühling jedoch sollten schließlich schärfere Schüsse als der unter dem Kofel auf der Baumgartenschneid fallen.
*
Auf halber Höhe am Hang des Westerbergs knallte es, ganz in der Nähe eines Tümpels, der wie ein moordunkles Auge unter Tannenbärten lag. Im Schlierseer Revier hatte Georg Jennerwein damit zugeschlagen; der Katzenjammer war schuld daran, den er vom Besäufnis der vergangenen Nacht her noch in den Knochen spürte; er war zu faul gewesen, um den ganzen Weg hinüber ins Tegernseer Gebiet zu laufen. Jetzt freilich, während der Girgl den Bock auszuweiden begann, wurde im wittelsbachischen Gäu drüben einer sehr lebendig. Johann Pföderl, der an diesem Tag die Grenze in der Nähe der Krainsberger Alm abgepirscht hatte, schätzte – im Losrennen schon – die Entfernung auf höchstens eine Viertelmeile. Im Dahinhetzen rechnete er nach und sagte sich, daß es klappen könnte, sofern die anderen, der Kühlechner und der Sieberer, ebenfalls aufmerksam geworden waren.
Für den Sieberer zumindest traf dies auch zu; am Brunstkogel, ein Stück weiter im Norden, hatte er den Schuß vernommen und war ebenfalls auf der Stelle losgelaufen. So näherten sich die beiden Jäger dem Tümpel also jetzt von zwei Seiten her, und Georg Jennerwein, in seinem übel noch nachflatternden Tran, beeilte sich noch nicht einmal sonderlich mit seiner blutigen Arbeit. Immer war es ja gut abgegangen bisher; leichtsinnig war der Wildschütz deswegen geworden, und als er den Kadaver endlich im Rucksack hatte, tauchte – zwei, drei Büchsenschüsse entfernt bloß noch – auf dem Hang drüben der Sieberer auf.
Ein Blitzen fuhr unter die Tannenbärte hinein. »Kreuzkruzitürken!« zischelte der Schiefzähnige; daß der andere das Perspektiv {74} bei sich hatte, machte die Sache noch schlimmer. Der Girgl duckte sich weg; seine Gedanken, trotz des schnapsdämpfigen Gehirns, rasten. Nach Fischhausen hinunter, wenn ich’s versuch’, schneidet er mir womöglich den Weg ab, überlegte er. Außerdem, jetzt am
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