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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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trotz allem, ihr Fleisch, ihr Blut, ihre Erinnerung, ihr Rest ärmlicher Liebe. Und so war sie gekrochen gekommen, zur Mutter zuerst, dann zum anderen Mann, zum Alten. Und der hatte sie gleich zu prügeln begonnen wegen ihrer Sünde…
    Maria Jennerwein krümmte sich unter den Schlägen, floh durchs Delirium, krachte gegen den schwarzen, lichtblitzdurchzuckten Rand, sprengte ihn weg, kehrte in sich selbst zurück, bäumte sich auf dem durchsudelten Strohsack hoch, schrie gellend – und spürte, wie das glitschige Bündel ihrem berstenden Schoß entglitt.
    In den Händen der Hebamme landete es, hing gleich darauf kopfunten und plärrte dünn, und dann hörte die Wöchnerin die Wehmutter sagen: »Ein Bub ist es; ein kräftiger dazu!«
    Georg, dachte die Nachblutende. Trotz allem hatte sie es sich oft und oft ausgemalt. Georg Jennerwein. Weil es so sauber klang, so anständig.

Der Bankert
     
    Überstanden waren die Armentaufe, das Zahnen, im Herbst des 49er Jahres die Fraisen {9} , etliche Katenwinter {10} dazu. Dreijährig torkelte der Girgl in seinen vierten Lebensfrühling hinein. Lief barfüßig durch den Schlamm im März und die Ungewißheit im April, schlug sich im Winkel oder im verbotenen Teufelsgraben {11} die Knie blutig. Zum Maianfang dann, gleichzeitig mit den ersten Marienandachten drüben in der Großhartpenninger Pfarrkirche, schnürte ihm die Mutter, die ärmliche Marei, einen Kanten Schwarzbrot ins Sacktuch und führte ihn in aller Frühe vom Gütleranwesen fort.
    »Wohin?« wollte der Bub wissen.
    »Auf den Taglohn«, antwortete die Ledige, die noch immer dieses gescheuchte Wesen an sich hatte. »Der Großvater, du weißt schon! Aber nach der Ernte kommen wir zurück. Dann haben wir Geld, dann wird alles besser werden.«
    Duweißtschon… duweißtschon… duweißtschon…, klingelte es im Schädel des Kindes. Mit der Faust nibbelte der Dreijährige sich den blonden Schopf. In seinen grauen Augen flirrte flüchtig so etwas wie ein Ahnen auf. Aber er wußte letztlich bloß, daß der Großvater das viele Bier trank, den Schnaps dazu aus der Tonflasche – und daß man dem Alten dann aus dem Weg gehen mußte. Vielleicht hingen auch das Heulen der Oma und das schrille Aufwimmern der Mutter in manchen Nächten damit zusammen oder daß der Zittrige ihn selbst manchmal unschuldig verprügelt hatte. Duweißtschon… duweißtschon… duweißtschon…, fluderte das unsichtbare Stimmchen noch einmal nach und verhallte. »Geld können wir schon brauchen«, murmelte der magere Strick altklug, packte die Hand der Maria Jennerwein und begann heftig zu zerren.
    Der Taglohn jedoch bei den Bauern fiel dürftig aus, besonders weil ein Weibsbild ihn heischte, eine Ledige auch noch. Mitgefüttert werden mußte zudem der Bankert. Die Bäuerinnen zu Dietramszell, Schlickenried, Linden, Erlach und Otterfing zählten dem Gesocks aus Haid jeden Bissen einzeln vor. Großherziger waren ab und an höchstens die Küchenmägde, auch die anderen Wanderarbeiter, die selbst nicht viel besaßen. Hob jemand von denen den Dreijährigen aufs Knie, dann durfte er manchmal Geselchtes schmecken, Handkäs oder Speckkraut. Besser war das allemal als die Wassersuppen oder die wäßrigen Erdäpfel, welche die Wohlhabenderen übrig hatten. Und die Abgerissenen, die Krummknochigen spotteten auch nicht so arg über ihn wie die Herausgefressenen, die Christkatholischen, die immer wieder einmal darauf zu sprechen kamen, daß er irgendwann, irgendwo von einer Bank gefallen sein mußte – obwohl er sich selbst beim besten Willen nicht daran zu erinnern vermochte. Aber das Zischeln und Zähneblecken kam, fuhr gegen ihn und die Mutter heran, so regelmäßig wie das Amen in der Kirche, und nach Sonnenuntergang, wenn er sich am Leib der Marei verkriechen wollte, spürte er erschrocken die Härte ihrer Haut.
    Mit dem ersten Tageslicht dann wieder hinaus auf die Feldbreiten, die Wiesen. Die Müdigkeit noch in den Knochen und im Magen das Knurren. Die Mutter hinter dem Drainagepflug her oder mit der Hauhacke im Unkraut. Der Grauäugige, der Gescheuchte irgendwo in der Furche, im Dreck. Mit bloßen Händen zugange, um den guten Willen zu zeigen. Da riß er sich an den Steinen, da fiel er auf die Schnauze. Da erntete er, in der Erdrunse sich windend, Gelächter. Da taumelte er hoch und floh und bekam oft genug schon wieder Schläge. Nicht nur von den Großkopfeten, sondern auch von der Mutter, weil der Taglohn eben so mager war. Das schmerzte ärger als

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