Jennerwein
drinnen im aufgewölbten Bauch spürte. Ein Zustechen wie von einem Messer war es; es hieb sie zusammen, ließ ihren Körper sich wie eine Schale um die wunde Leibtrommel krümmen. Der Schweiß brach ihr aus, der pludernde Fallwind schien die jähe Hitzewallung noch schlimmer zu machen.
Dann, in ihr Hecheln, in ihr salzig verschliertes Gesichtsfeld hinein, der Pfarrer. Der schwarze, gschwollschädelige Racheengel trat aus der Sakristei heraus. Sein Stiefelstampfen, im Schlamm, im Kies, trieb der Ledigen ein stoßartiges Würgen durch die Speiseröhre. Sauer stieß es ihr auf, bitter, gallig, dazu noch immer das Messer unter dem Herzen. Der Schatten dräute über sie hin, weihrauchdunstig; gleichzeitig kroch ihr das Zischeln ins Hirn: »Sünderin! Verfluchte! Schandmetze, du!«
Die Gütlerstochter floh erneut; zusammengestaucht, krumm. Erst als sie bereits den halben Weg zum Weiler Haid zurückgelegt hatte, machte das Stechen in ihrem Inneren einer dumpfen, müden Betäubung Platz. Der Nachmittag unter der süßlichen Föhnkanzel aus dem Süden begann sich jetzt bereits einzudüstern.
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Im Halbdämmer stieß der Pfarrherr von Großhartpenning seine Bedienerin aus dem Bett. Die Frau verzog sich fromm in die Küche, die Vesper herzurichten; die Schmalznudeln, den Milchkaffee. Unterm Federbett, das eklig noch nachnäßte, kam der Prälat allmählich wieder zu Atem. Nächsten Donnerstag, dachte er, vor dem Tarock {8} mit ihm und dem Kaplan, kann ich es meinem Amtsbruder drüben in Warngau beichten. Er wälzte sich, fischte nach seiner Hose, setzte in Gedanken hinzu: War ja eh bloß eine läßliche Sünde nach dem Kanon. Und außer dem Warngauer erfährt’s auch keiner. Ist daher lang nicht so schlimm wie beim Wittelsbacher und seiner spanischen Hur’…
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Wegen der genannten Tänzerin, die in Wahrheit nichts weiter als die platonische Geliebte Ludwigs I. gewesen war, kam es zur Revolution in München. Obwohl der König die Montez mittlerweile aus dem Land gewiesen hatte, stürmten aufgebrachte Bürger schon einen Tag nach dem doppelzüngigen Sermon des Großhartpenninger Pfarrherrn das Zeughaus in der Hauptstadt. Immer noch pluderte der Föhnwind; man schrieb den vierten März des Jahres 1848. Die Revoluzzer bewaffneten sich mit Vorderladern und zogen weiter zur Residenz. Mehr als etliche blinde Schüsse in die Luft wurden nicht abgegeben, dennoch erklärte sich der Wittelsbacher zu Verhandlungen bereit. Ein Bündel liberaler Gesetze stellte er in Aussicht; Ministerverantwortlichkeit, völlige Pressefreiheit und Verbesserung der Ständewahlordnung lauteten die Schlagworte. Ludwig I. von Bayern, erstaunlich blauäugig und die Situation trotz erzkatholischer Erziehung völlig mißverstehend, geriet vom Regen in die Traufe.
Zwar besänftigte er die Liberalistischen im Land, hatte jedoch bei seinem Zugeständnis rudimentärer Bürgerrechte völlig die Klerikalen, die Ultramontanen vergessen. Die heulten, besonders hinsichtlich des unzensierten Journalismus, noch ärger auf als zuvor wegen der glutäugigen Schauspielerin, und in der Residenzstadt brodelte es jetzt noch heftiger als ehedem. Republikanische und Papsthörige begannen gegeneinander zu schnappen, daß die Fetzen flogen, Wirtshäuser und Kirchenschiffe wurden zu bier- oder weihrauchdunstgeschwängerten Arenen; hinzu kam die allgemeine Entwicklung jenseits der bayerischen Grenzen.
Am 13. März dieses Jahres 1848 zogen in Wien Studenten und Bürgerwehr gemeinsam gegen die Hofburg und jagten den verhaßten Staatsminister Metternich aus dem Land. Fünf Tage später, am 18. März, kam es zu Barrikadenkämpfen in Berlin. Friedrich Wilhelm IV. setzte sich samt seiner Soldateska nach Potsdam ab. Auch in der Schweiz gärte es, ebenso in Kiel, Hessen und Baden. Dies alles kulminierte – zumindest aus bayerischer Sicht – am 20. März in der Abdankung Ludwigs.
»Treu der Verfassung regierte Ich«, verkündete der König unmittelbar vor der Abhalfterung seinen gewesenen Untertanen. »Dem Wohl des Volkes war mein Leben geweyhet, als wenn Ich eines Freystaats Beamter gewesen, so gewissenhaft ging Ich mit dem Staatsgute, mit den Staatsgeldern um…« Ludwigs ruheständlerische Apanage, eine halbe Million Goldgulden jährlich, wurde in der Proklamation aus verständlichen Gründen nicht erwähnt.
Ohnehin richteten die Augen der Bayern sich sofort auf ihren neuen Monarchen, Maximilian II. einen eher bläßlichen Blaublütigen von sechsunddreißig
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