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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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mußte, mit dem Prügel. Kannte keinen Halt mehr, wenn es ihn einmal gepackt hatte. Hielt sich nicht an die ungeschriebene Regel, die Dinge nicht zu weit zu treiben. Wütete auch dann noch hirnlos, wenn der andere ihn bereits untergekriegt hatte. Mußte zusammengeschlagen werden, bis er bloß noch wimmerte, bis er völlig kraftlos war. Hatte dann wieder den Spott davon und die Erniedrigung – und lernte nichts weiter aus seinen Niederlagen als die Gemeinheit. Sechs-, siebenjährig dann galt er als hinterlistiger, hundshäutener Raufer. Als einer, bei dem man nie sicher sein konnte. Der Jennerwein – Girgl nannte ihn jetzt kaum noch eines der Haider Kinder – kannte die bösartigen Griffe. Die in die Augen, in die Mundwinkel, ins Geschlecht. Der scherte sich den Teufel drum, wenn Blut floß. Nie wußte man, ob er nicht im Versteck lauerte, mit der Schleuder, mit den Kantsteinen. Einmal schoß er den vierzehnjährigen Sohn des größten Bauern besinnungslos, schoß ihn gegen die Stirn. Der Säufer schlug ihn windelweich, brach seinen Widerstand mit brutaler Manneskraft, trank hinterher noch haltloser als sonst.
    Die Großmutter schluchzte zu dieser Zeit nur noch lautlos, wimmerte sich tonlos durchs achte und neunte Lebensjahr ihres einzigen Enkels. Ließ lediglich ein verstörtes »Jessas-Maria!« hören, wenn es mit dem Georg in der Sonntagsschule wieder einmal ungut abgelaufen war. Mit der Mutter, der Marei, kam der Verhaltensgestörte aus. Arbeitete er mit ihr im Taglohn oder auf den beiden mageren Ackern des Gütleranwesens, war auf ihn Verlaß. Unter ihren Augen schuftete er gelegentlich sogar zum Gotterbarmen. Weil er es manchmal kaum noch ertragen konnte, wie sehr sie sich abrackern mußte. Das Häusleranwesen hing jetzt mehr oder weniger an ihr.
    Der Alte taugte nur noch selten zur Arbeit; der Suff hatte ihn fast schon gebrochen. Die Großmutter war immer schwach gewesen. Die Marei eigentlich auch, aber sie war glücklicherweise erst eine Mittzwanzigerin. Eine Ledige freilich, eine Sitzengelassene; eine, die wahrscheinlich keinen Mann mehr bekommen würde, obwohl sie doch wie ein Kerl rackerte. Die mit dem Bankert eben, dazu dem Säufer zum Erzeuger. Der konnte noch immer unvermittelt auf sie losgehen. Einmal, nachdem er ein Zugscheit nach der Marei geworfen hatte, schwor der Neunjährige mit zuckenden Fäusten: »Ich bring’ ihn um! Irgendwann werd’ ich ein Messer haben, dann stech’ ich ihn ab!«
    Dazu kam es nicht. Der Tod schob dem einen Riegel vor. Kurz vor Weihnachten 1857 traf den Alten der Schlag, räumte ihn hinweg im Vollrausch.
    Georg Jennerwein, als er begriff, lachte.

Der Stiefvater
     
    »Wenn wir das Gütl drangeben, hast du eine Mitgift!« Die Worte der Großmutter, der ihre Witwenschaft neuen Auftrieb geschenkt hatte, hingen wie eine Verheißung in der heruntergekommenen Stube. »Dann kannst du anderswo einheiraten, Marei, kannst dich mit einem anständigen Kerl zusammentun! Dann kriegt der Girgl einen Vater – und ich einen Austrag {13} !«
    Der nunmehr Zehnjährige konnte sich nicht erinnern, jemals ein solches Leuchten, eine solche Hoffnung in den Augen der Mutter gesehen zu haben. Die eigene Rührung beschämte ihn, machte ihn fahrig. Tief drinnen in ihm schien eine Kruste aufzubrechen. Einen Lidschlag später aber dachte er beinahe erschrocken: Ein Vater…?!
    »Fort von Haid. Anderswo neu anfangen«, murmelte Maria Jennerwein. »Wenn das möglich wäre! Mein Gott! Noch im letzten Winter hätte ich nicht einmal davon zu träumen gewagt! Du meinst es wirklich ernst, Mutter? Du würdest mir das Anwesen überschreiben?«
    »Das mit dem Austrag müßten wir halt advokatisch machen«, nickte die Alte.
    »Da bräuchtest du keine Angst zu haben«, versprach ihre Tochter. Auf der Ofenbank rückte sie näher an den Buben heran, nahm ihn in die Arme. Der Blonde, plötzlich wieder ein Kleinkind, verkroch sich an ihrer Brust. Tief atmete die Ledige ein, dann setzte sie hinzu: »Aber ich kenne doch gar keinen Mann. Ich wüßte doch gar nicht, wo…«
    »Drüben in Großhartpenning, den Hochzeitsschmuser {14} den fragen wir«, verkündete die Großmutter. »Der kommt weit herum, der findet dir ganz bestimmt einen.«
    Die Marei nickte, wirkte vorfreudig und verschämt gleichermaßen, hatte auf einmal rote, hektische Flecken im Gesicht.
    Georg Jennerwein, obwohl er dies eigentlich gar nicht vorgehabt hatte, löste sich jäh wieder aus ihren Armen.
     
    *
     
    Der Leiterwagen mit den beiden

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