jennissimo (German Edition)
sein muss, einfach so tun, als ob nichts ist. Das hast du wohl von meiner Mutter.“
„Von wem auch immer.“ Jenna sah auf die Uhr. „Wolf kommt heute an. Jasmine soll wegen ihrer Schwangerschaft nicht fliegen, aber ihre Mutter bleibt bei ihr, bis Wolf zurückkommt.“
Beth nickte und seufzte dann. „Serenity hätte ihren Enkel noch so gerne gesehen.“
Jenna wollte schon sagen, dass sie noch die Gelegenheit dazu hätte, wusste aber, dass es nicht stimmte. Der Krebs hatte sich schon zu weit ausgebreitet. Nichts konnte ihn mehr aufhalten.
„Ich gehe heute Nachmittag arbeiten.“ Sie nahm ihre Tasche. „Gegen fünf bin ich zurück.“
In den nächsten beiden Tagen kamen noch mehr Besucher an. Wolf natürlich, aber auch ungefähr ein Dutzend Leute, die Jenna nicht kannte. Jung und alt, männlich und weiblich. Ein Mann um die zwanzig hockte auf einem Kissen in der Ecke und spielte etwas, das Jenna für eine Sitar hielt. Eine große, alte Frau mit magisch aussehendem Kopfschmuck stand neben Serenity und plauderte mit ihr. Ellington kam täglich vorbei, doch Jenna traf ihn nur selten und nie allein.
Wahrscheinlich hätte sie auch auf ihn sauer sein sollen, weil er Serenitys Geheimnis für sich bewahrt hatte. Doch andererseits unterlag er der ärztlichen Schweigepflicht, und jetzt war ihr auch klar, dass er auf seine eigene Weise versucht hatte, ihr die Wahrheit zu sagen.
Das Kommen und Gehen der Besucher gab den Tagen einenganz eigenen Rhythmus. Es wurde viel erzählt, gelacht und geweint. Jenna fühlte sich hin- und hergerissen; mal wollte sie Serenity nahe sein und dann wieder weglaufen. Die Zeit verging viel zu schnell und viel zu langsam.
Violet kam, wann immer sie konnte, um Dragon in die Arme zu nehmen. Marshall stand oft im Türrahmen und beobachtete das Treiben, dann zog er sich wieder in sein Büro zurück, wo seine Welt noch in Ordnung war. Beth war Jenna wie immer eine große Stütze.
Nach einer Woche kam die Hospiz-Krankenschwester in die Küche.
„Es ist bald so weit“, sagte sie. „Ich dachte, das würden Sie gern wissen.“
„Danke“, antwortete Beth, ohne Jenna aus den Augen zu lassen.
Jenna nickte, konnte aber nichts sagen. „Dann bleibe ich zu Hause“, brachte sie schließlich hervor. „Ich werde Violet bitten, den Laden heute nicht zu öffnen.“
„Was immer du für das Beste hältst.“
Ein junger Mann spazierte mit einem Räucherstäbchen in der Hand herein und bat um Streichhölzer. Beth reichte ihm eine Schachtel. Als er wieder gegangen war, sah sie Jenna an.
„Diesen Geruch werde ich nie mehr aus den Teppichen bekommen.“
Jenna lächelte erst, lachte dann und brach Sekunden später in Tränen aus. „Ich bin ein Wrack.“
„Nun mach mal halblang! Du bereitest dich gerade darauf vor, dass ein wichtiger Mensch in deinem Leben sterben wird.“
Jenna sah ihre Mutter an. „Ich hab dich lieb.“
„Ich dich auch, Schätzchen! Und jetzt wisch dir das Gesicht ab. Serenity will dich bestimmt nicht weinen sehen.“
Jenna ging zurück in Serenitys Zimmer, in dem Musik spielte und die Kerzen brannten. Serenity lag mit geschlossenen Augen im Bett und atmete schwer. Tom, über sie gebeugt, flüsterte etwas in ihr Ohr.
Sie öffnete die Augen.
„Alle meine Kinder sind hier“, sagte sie mit schwacher Stimme. „Kommt näher. Ich möchte euch sehen.“
Jenna fand sich zwischen Dragon und Wolf wieder. Tom stand auf der anderen Seite des Bettes. Sie nahmen sich an den Händen. Serenity musterte einen nach dem anderen.
„Ich hatte großes Glück“, wisperte sie. „Mehr kann man nicht verlangen.“
Sie schien keine Luft zu bekommen, doch dann begriff Jenna, dass ihre Atmung ausgesetzt hatte. Sie wartete, versuchte, Serenity mit Gedankenkraft zu zwingen, weiterzuatmen, doch da war nichts. Nur Stille.
Jemand löschte die Kerzen.
21. KAPITEL
J enna wartete nicht, bis Serenitys Leiche vom Bestattungsinstitut abgeholt wurde. Stattdessen rannte sie, kaum dass Beth im Hospiz angerufen hatte, zu ihrem Wagen und fuhr davon. Sie hatte bereits drei Meilen hinter sich gebracht, als ihr klar wurde, dass sie nicht wusste, wo sie hin sollte oder mit wem sie reden konnte. Jeder, den sie liebte, war bei Serenity.
Ziellos kurvte sie durch Georgetown und dachte darüber nach, einfach nach Dallas zu fahren und dann … Und dann? Natürlich konnte sie dem, was gerade geschehen war, nicht entkommen, eines Tages musste sie sich damit auseinandersetzen. Aber wenigstens nicht heute.
Nach fast
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