Jenny und der neue Vater
lächelte Kirsten glücklich. Hatte sie zu Anfang noch gedacht, dass die Kolleginnen ihr die Beziehung zum Chef übel nehmen könnten oder neidisch waren, so sah sie sich angenehm enttäuscht. Aber vielleicht lag es ja auch daran, dass sie trotz dieser Beziehung bei der Arbeit nicht bevorzugt wurde oder werden wollte. Sie war Mitglied in einem Team, und dieses Team hielt zusammen, das Betriebsklima war außerordentlich gut.
Kirsten freute sich auf dem Abend, es würde wieder ein gemütliches Beisammensein geben. Und da es Jenny doch langsam immer wieder besser ging, konnte sie sicherlich diese Sorge bald von ihrer Liste streichen.
Wenn das erlösende Gewitter nur recht schnell käme.
Doch die Luft schien immer dicker zu werden, die Hitze immer brütender, und die schwüle Luft machte das Atmen zur Qual.
Eigentlich war Kirsten froh, als die nächste Kundin ihre volle Aufmerksamkeit verlangte, das lenkte sie wenigstens etwas davon ab, wie unwohl sie sich fühlte, indem sie so verschwitzt war.
*
Jenny lag daheim auf dem Bett, nur mit einem T-Shirt bekleidet. Die Bettdecke war beiseite gestrampelt, und Othello hatte sich mit Vergnügen in das weiche Zeug hinein gekuschelt. Dem Hund schien die Hitze nicht soviel auszumachen wie den Menschen. Seit Jenny ihn besaß, war er viel gewachsen, und das Mädchen vermeinte fast, dass man dabei zusehen konnte, wie er größer wurde.
Wolken schoben sich vor die Sonne, und erst daran merkte Jenny, dass eine Wetteränderung sich anbahnte.
Hoffnungsvoll schaute auch sie aus dem Fenster. Wenn doch endlich das Fieber ganz verschwinden würde. Sie hätte mit Julian oder mit ihren Freundinnen ins Schwimmbad gehen können, statt die Tage hier im Bett oder auf dem Sofa zu verbringen. Jenny sehnte es herbei, endlich wieder gesund zu sein, obwohl sie im tiefsten Innern wusste, dass ein erneuter Fieberanfall auftauchen konnte, wenn ihr Vater sich nicht zurückhielt.
Wenn er doch nur endlich einsehen würde, dass Mama ihn nicht mehr wollte.
„Othello, lass das! Mama reißt uns den Kopf ab, wenn du hier die Kissen zerfetzt.“ Jenny riss dem Hund das Sofakissen weg, das er aus dem Wohnzimmer angeschleppt hatte und nun mit Inbrunst zerreißen wollte. Jede Bewegung rief bei Jenny einen Schweißausbruch hervor, und sie war froh, endlich wieder reglos auf dem Bett zu liegen.
Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, gleich darauf kam Frau Hoffmann herein. „Ach, mein armes Kleines, das muss schrecklich für dich sein bei diesem Wetter. Aber sicher tut uns allen das Gewitter gut. Ich hoffe nur, es kommt nicht zu schnell, denn ich müsste vorher noch etwas einkaufen. Und da wollte ich vorher noch einmal nach dir sehen. Brauchst du etwas, Jenny? Kann ich etwas für dich tun? Soll ich dir eine Suppe heiß machen, oder ein Brot schmieren, oder sonst etwas?“
Jenny war daran gewöhnt, dass Frau Hoffmann in einem fort redete, manchmal ging ihr diese übertriebene Fürsorge kräftig auf die Nerven. Doch die Frau meinte es ja nur gut.
„Nein, vielen Dank“, sagte sie aber höflich. „Ich brauche nichts, und es ist auch alles in Ordnung. Gehen Sie ruhig, es dauert ja auch nicht mehr lange, bis Mama zuhause ist.“
„Ach ja, bei diesem Wetter ist es bestimmt nicht einfach für sie, im Geschäft zu stehen. Noch dazu Bücher verkaufen.“
Jenny hatte schon lange festgestellt, dass Bücher für Frau Hoffmann eine fremde Welt waren, bestenfalls Kochbücher rührte sie einmal an, und auch dann nichts exotisches, alles andere war für sie so weit entfernt wie der nächste Stern. Na ja, jeder so, wie es ihm gefiel, wie Mama immer sagte. Auf jeden Fall kümmerte sich Renate Hoffmann fürsorglich und aufmerksam um das Mädchen, und das beruhigte Kirsten sehr.
Frau Hoffmann warf noch einen prüfenden Blick auf Jenny und den Hund, der sie unschuldig mit großen Augen anblickte, dann ging sie beruhigt davon. Sie wollte sich beeilen, um vor dem drohenden Unwetter wieder daheim sein zu können. Außerdem – vielleicht hatte ja auch Jenny Angst bei Gewitter und traute sich jetzt nur nicht, das zu sagen. Frau Hoffmann jedenfalls war immer froh, noch jemanden in der Nähe zu haben, was sie natürlich niemals zugeben würde. Und da ihr Mann sich meist auf irgendeiner Geschäftsreise befand, war sie doch meist allein und wollte es jetzt nutzen, sich bei dem Mädchen aufzuhalten, so hatte sie wenigstens einen Vorwand nicht allein zu sein.
*
Die Luft schien flüssig zu sein, in der Ferne
Weitere Kostenlose Bücher