Jenny und der neue Vater
Sirenen, und sie kamen sehr schnell näher. Kirsten begann plötzlich zu zittern.
„Es ist etwas passiert“, flüsterte sie nervös und verkrampft die Hände.
„Nun mach dich aber mal nicht verrückt. Woher willst du das denn wissen?“
„Ich weiß es einfach.“ Kirstens Kollegin wollte sie noch festhalten, sie beruhigen, aber die junge Frau lief schon davon, ohne sich noch einmal umzusehen. Auf dem Weg nach Hause wurde sie von dem Einsatzwagen der Feuerwehr überholt, dann roch sie auch den Rauch, und im Näherkommen sah sie schließlich das Haus in Flammen stehen.
„Jenny!“, schrie sie auf und begann zu rennen.
Die Feuerwehrleute rollten bereits in Windeseile ihre Schläuche aus, die flackernden Blaulichter, plötzlich aufgetauchte Schaulustige und Polizisten, die Absperrungen aufbauen wollten, alles wirbelte vor Kirstens Augen zu einem Wirren Kaleidoskop durcheinander. Jemand hielt sie fest.
„Mein Kind ist da drin, ich muss da hin“, schrie sie und wollte sich von den Händen befreien. Doch dann führte man sie weiter – und da war Jenny. Lag auf dem Rasen, das Gesicht von Ruß verschmiert. Und Björn war neben ihr. Er nahm sie fest in die Arme, und gemeinsam beugten sie sich zu dem Mädchen hinunter, das aber noch gar nicht erfasst hatte, was genau geschehen war.
„Wo ist Othello?“, fragte sie wieder. An der ernsten Miene von Björn sah sie, dass es wenig Hoffnung gab.
„Ich habe ihn nicht gesehen, nur gehört“, erklärte er. „Aber ich denke, dass er hinausgelaufen ist, als ich die Tür öffnete. Sicher ist er hier draußen irgendwo und wird wieder auftauchen, wenn das Feuer und das Durcheinander vorbei sind. Kleine Hunde haben Angst, alle Tiere haben Angst vor Feuer.“
„Du lügst“, warf Jenny ihm vor. „Du hast mich zum erstenmal belogen. Othello ist nicht aus der Wohnung gelaufen, da bin ich sicher.“
Kirsten drückte ihre Tochter fest an sich. „Ganz bestimmt kommt Othello zurück, er hat dich doch lieb. Wichtig ist jetzt erst einmal, dass du gerettet bist. Wir können Björn gar nicht genug danken.“
Dem stimmte auch der Notarzt zu, der sich jetzt hier befand, zum Glück aber nichts weiter zu tun hatte. Doch ausgerechnet er machte die verhängnisvolle Bemerkung. „Ist ja bloß ein Hund. Wenn er nicht mehr aus dem Haus gekommen ist, kann dir deine Mutter bestimmt einen neuen schenken.“
Jenny wandte langsam den Kopf und schaute den Mann an. Tiefe Verachtung lag in diesem Blick, und es spiegelte sich so etwas wie Hass darin.
„Nur ein Hund?“, wiederholte das Mädchen mit unnatürlicher Ruhe. „Nur ein Hund?“
Kirsten erfasste die Situation und versuchte ihre Tochter zu beruhigen. „Das hat er nur so daher gesagt, ganz bestimmt ist Othello mit aus dem Haus gelaufen.“
Jenny löste sich aus dem armen ihrer Mutter. „Du auch? Ihr müsst mich nicht trösten, indem ihr mir fromme Lügen erzählt. Ich fühle ganz genau, dass Othello noch lebt, und dass er ganz furchtbar Angst hat.“
Und noch bevor jemand sie festhalten konnte, lief sie davon, auf das Haus zu, das mittlerweile von dicken Wasserstrahlen getroffen wurde. Die Flammen züngelten längst nicht mehr so hoch, dafür war der Rauch wesentlich dichter geworden.
„Jenny!“, klang es wie aus einem Mund von Björn und Kirsten, aber das Mädchen war schon außer Reichweite.
Doch plötzlich lief jemand hinter Jenny her, mit dessen Anwesenheit niemand ausgerechnet hier gerechnet hatte. Er riss dem Notarzt die Sauerstoffmaske mit der Patrone aus der Hand und stürmte hinter seiner Tochter her, ebenfalls bevor Alexander jemand aufhalten konnte.
*
Nach dem letzten Zusammentreffen mit Kirsten war Alexander zutiefst niedergeschlagen. Er ging in eine Kneipe und begann systematisch sich zu betrinken, etwas, das er nie vorher getan hatte. Der Mann hinter der Theke schaute sich das eine Weile an. Er hatte nichts dagegen Geld zu verdienen, sah aber mit erfahrenem Blick, dass dies hier keiner von den Gewohnheitstrinkern war, der regelmäßig seinen Kummer im Alkohol ertränkte. Diesen Mann hatte etwas aus der Bahn geworfen, und bevor er im völlig benebelten Zustand Radau machte, war es vielleicht besser das Gespräch mit ihm zu suchen.
„Ärger zuhause?“, erkundigte er sich also freundlich.
Alexander starrte ihn an. Er war schon nicht mehr ganz nüchtern, und die Worte sickerten nur langsam in sein benebeltes Gehirn. Aber dann brach es aus ihm heraus, und er erzählte wie ein Wasserfall. Nach und nach
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