Jenseits aller Tabus
Viertel aufwuchs, würde man auch dort sterben, da die wenigsten Bewohner der Armut entkamen. Aber Lucille hatte das Wunder vollbracht, an einem College angenommen zu werden, und sie war, verdammt noch mal, stolz darauf!
»Es gibt fünf Fallentypen.« Aufgekratzt zeigte sie auf eine Pflanze, deren Blüten Veilchen ähnelten. »Byblis filifolia gehört zur Gattung der Regenbogenpflanzen und sondert Tautropfen ab, an denen die Beutetiere kleben bleiben.« Sie ging zum nächsten Tisch. »Die bekannteste Vertreterin der Klappfallenfänger ist Dionea muscipula.«
Craig nickte. »Venusfliegenfalle.«
»Sie reagiert auf äußere Reize. Klettert ein Insekt auf einen der Fangarme, kann sie ihre Blätter innerhalb von hundert Millisekunden zusammenklappen. Selten bewegen sich Pflanzen derart schnell.«
Er schlenderte näher und stellte sich gegenüber von Lucille an die andere Seite des achteckigen Tisches im Zentrum des Raumes. »Beeindruckend.«
Meinte er die Karnivoren oder ihren Vortrag? Sie zeigte auf die trichterförmigen Pflanzen auf dem oktogonalen Tisch. »Hier finden wir verschiedene Arten von Fleischfressern, die nach dem Fallgrubenprinzip fangen. Insekten, Spinnen und sonstige Kleintiere fallen in die zu Hohlräumen geformten Blätter und können an den glatten Wänden nicht wieder herauskriechen. Deine Kobralilien sind wirklich unglaublich schön.«
»Und gefährlich.« Ein bedrohliches Grollen untermalte seine Stimme, aber seine Augen funkelten lüstern.
Lucilles Brustspitzen wurden hart, was ihr Bikinioberteil keineswegs verbarg. »Nicht für alle Tiere.«
»Nur die, die in ihr Beuteschema passen.«
Sprachen sie noch von Karnivoren? »Diese heißen Genlisea. Sie fangen ihre Opfer mit Reusenfallen und Lockstoffen. Dann verschließen sie den Eingang, sodass das Beutetier nur in eine Richtung gehen kann.«
»Direkt in den Magen des Fleischfressers. Nicht nur die Tierwelt ist zuweilen grausam, auch die Pflanzenwelt.« Lüstern musterte Craig ihren Bikini. »Wusstest du, dass der Botaniker, der die Gattung entdeckte, sie nach der französischen Hofdame und Schriftstellerin Comtesse de Genlis benannte, die unter anderem an die hundert frivole Romane verfasste?«
Letzteres war ihm offensichtlich wichtig zu erwähnen. Es ging ihm nicht darum, mit Wissen zu glänzen, ahnte sie, sondern eine anzügliche Anspielung zu machen. Die hatte er geschickt einfließen lassen. Doch Lucille verdarb ihm den Spaß, indem sie nicht darauf einging. »Eine Gattung fehlt allerdings in deinem Sammelsurium des Grauens: die Utricularia. Sie hat an den Ausläufern mikroskopisch kleine Fangblasen und saugt ihre Beute und Wasser mithilfe von Unterdruck ein.«
»Das Schlauchgewächs kommt nur im Wasser oder unter der Erde vor, daher habe ich mich noch nicht rangetraut. Aber da du so gut Bescheid weißt, kannst du mir vielleicht helfen, sie zu kultivieren«, schlug er vor und breitete seine Arme aus.
Sie fühlte sich gebauchpinselt. Ja, es würde ihr eine große Freude bereiten, ihre Leidenschaft für die Pflanzenwelt mit Craig zu teilen. Aber ging das nicht zu weit? War das nicht weitaus intimer als Sex? Sie wusste ja noch nicht einmal, wie lange sie bei ihm bleiben würde.
»Ich bin beeindruckt«, fuhr er fort. »Woher weißt du das alles?« Er räumte eine Handschaufel, eine Kratze und einige ineinandergestapelte Blumentöpfe von dem Pflanztisch gleich rechts neben dem Eingang.
Was hatte er vor? »Angelesen.«
»Das glaube ich dir nicht.« In Seelenruhe nahm er ein paar Gärtnerhandschuhe und fegte damit die Pflanzenreste und Torfkrümel weg. »Es wäre ein zu großer Zufall, wenn ich mich ausgerechnet auf die Pflanzengattung festgelegt hätte, über die du ein Sachbuch gelesen hast.«
Sie zuckte mit den Achseln. »Ich kannte mal jemanden, der hatte Schlangen, einen Leguan und eben auch fleischfressende Pflanzen«, improvisierte sie. »Er gab mir ein Buch über Karnivoren.«
»Und du hast dir all die Details gemerkt?« Ungläubig murrend legte er die Handschuhe beiseite. »Klingt eher, als hättest du gelernt.«
»Und wenn es so wäre?« Lucille wunderte sich über ihre Patzigkeit, fühlte sich jedoch außerstande, sie abzustellen. Sie wollte ihm zeigen, dass sie auch etwas auf dem Kasten hatte.
Er lehnte sich mit seinem Hintern gegen den Pflanztisch und schaute sie herausfordernd an. »Dann wäre ich interessiert, mehr zu erfahren.«
»Warum? Weil du mir nicht traust?«
»Oh, ich denke nicht, dass du mein Gewächshaus
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