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Jenseits aller Tabus

Jenseits aller Tabus

Titel: Jenseits aller Tabus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Henke
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behauptete sie, denn ihre Theorie konnte sie keinesfalls mit Alex besprechen – eine Krähe hackte der anderen kein Auge aus –, und beendete das sinnlose Telefonat. Craig passte schon auf sie auf. Sie hörte ihn in seinem Büro nebenan laut reden, er musste ebenfalls telefonieren. Vergeblich hatte sie versucht, ihn zu überreden, mit ihr schwimmen zu üben, doch er musste an diesem Nachmittag arbeiten. Daher hatte sie beschlossen, im niedrigen Teil des Pools ein paar Übungen zu machen, bevor Alex anrief.
    Sie legte das Handy weg, schob die Terrassentür zur Seite und trat in die feuchte Wärme hinaus. Rasch schloss sie die Tür wieder und stellte sich an den Beckenrand. Nun, da sie ins Wasser sah und die Tiefe nicht einschätzen konnte, behagte es ihr nicht sonderlich, ohne den Halt von Craig ins Wasser zu steigen.
    Im Augenwinkel bemerkte sie etwas Helles. Neugierig wandte sie sich um. Die weiße Fassade des Oktogons reflektierte die Sonne. Das Gewächshaus war das Schönste, das Lucille jemals gesehen hatte, etwas wahrhaft Besonderes mit den geschwungenen Säulen an seinen acht Ecken, die das gläserne Flachdach trugen.
    »Craigs privates Leichenhaus«, unkte sie.
    Patricks Anweisungen klangen ihr noch im Ohr: »Sie fassen nur Dinge an, die Ihnen aufgetragen wurden, anzufassen, betreten ausschließlich Räume, in denen Sie Arbeiten zu erledigen haben, und halten sich vom Gewächshaus fern.«
    Warum, das fragte sie sich noch heute. Hatte Craig seine Waffen im Tornadobunker versteckt und seine Leichen im Treibhaus vergraben?
    Sie hatte geglaubt, Cory würde nicht nur den Garten und die Pflanzen in der Villa, sondern auch die im Oktogon pflegen, doch er hatte abgewehrt: »Darum kümmert sich Mr Bellamy persönlich.«
    Obwohl Lucille Craig inzwischen besser kannte und wusste, dass er in manchen Dingen anders tickte als das Gros der Reichen, erschien ihr diese Tatsache immer noch suspekt. Sie stellte sich auf ihre Zehenspitzen, kippte zurück auf ihre Fußballen und hob ihre Zehen an, ohne das historisch anmutende Häuschen aus den Augen zu lassen. Das wiederholte sie einige Male, bevor sie ihre Neugier nicht länger zügeln konnte.
    Verschwörerisch schaute sie in alle Richtungen, und da die Luft rein war, spazierte sie betont unauffällig zum Gewächshaus. Zu ihrer Überraschung stand die Eingangstür weit offen. War diese Gelassenheit Teil seines Plans, keinen Verdacht zu erregen? Oder war Lucille zu sehr in ihre eigene Gangstergeschichte verstrickt und konnte deshalb ihren unbegründeten Argwohn nicht mehr ausschalten?
    Sie huschte ins Innere. Mit klopfendem Herzen stand sie in dem kleinen achteckigen Raum und fühlte sich – heimisch.
    Der komprimierte Geruch von Torf und Gewächsen hatte sie während der Praktika in ihrem Studium begleitet. Sie liebte ihn! Liebte die Töpfchen mit den Keimlingen, die Herausforderung, die perfekten Bedingungen für eine Staude herzustellen, das Glücksgefühl, wenn sie erste Knospen entdeckte. Einige Kommilitonen gaben ihre Zöglinge ungern her, weil sie so viel Zeit und Energie in sie investiert hatten. Lucille dagegen hatte immer gern etwas von sich geschenkt. Denn wenn sie eine Pflanze einem Käufer überreichte, schien es ihr, als würde ein Stück ihrer Leidenschaft für die Natur auf ihn übergehen.
    »Aber hier sind ja nur Karnivoren.« Lucille schritt um den achteckigen Tisch in der Mitte herum und betrachtete, was daraufstand. Ein weiterer Tisch verlief am Rand entlang, auf ihm standen ebenfalls ausschließlich fleischfressende Pflanzen.
    »Fragst du dich, was das über mich aussagt?«
    Erschrocken flog sie herum. Craig stand in der Tür. Er kreuzte die Arme vor dem Oberkörper und schaute sie mit diesem durchdringenden, nicht zu ergründenden Blick an, der gleichsam etwas Drohendes und Lüsternes ausstrahlte. Ein heißkalter Schauer lief ihr den Rücken hinab.
    Ihr fiel auf, dass seine rechte Hosentasche ausgebeult war. Was mochte er darin tragen? »Ein Psychologe hätte seine wahre Freude daran, diese Frage zu erläutern, aber ich bin nur ein einfaches Dienstmädchen.«
    »Ach ja?« Er hob seine Augenbrauen.
    Ein unwohles Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus, aber sie hatte keine Lust mehr, sich kleinzumachen und so zu tun, als könnte sie nichts anderes fertigbringen, als zu bedienen und fremde Wäsche zu waschen. Ihr ganzes Leben hatte sie darum gekämpft, etwas zu schaffen, sich zu bilden und den Klauen Mattapans zu entkommen. Es hieß, wenn man in diesem

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