Jenseits aller Tabus
die Tür zum Korridor. »Das schaffst du schon. Lass dich nicht von Mad verunsichern. Viel Glück!«
Das Servieren stellte kein Problem dar, schließlich hatte Lucille jahrelang gekellnert. Eigentlich fürchtete sie sich vielmehr vor Craig Bellamy. Seine scharfe Zunge und sein herausfordernder Blick reizten sie. Aber sie würde entspannt bleiben, den Mund halten und sich nicht aus der Reserve locken lassen. Darin lag die Herausforderung bei dieser Aufgabe, nicht im Auftischen.
Nervös betrat sie den Salon. Bellamy und Ms Dearing, die vor der Tafel standen und einige Skizzen und Musterbücher betrachteten, schauten auf. Craigs Blick brannte auf Lucilles Haut. Ein mildes Lächeln umspielte seine Lippen, oder bildete sie sich das nur ein? »Guten Abend, Ms Dearing. Der Tee, Sir.«
»Kommen Sie näher, Kirby.« Eifrig schob er am Ende der Tafel einige Skizzen beiseite, damit das Geschirr Platz hatte.
Sie musste sich seitlich – mit dem Rücken zu ihm, das schwere Tablett über einen Stuhl hebend – zwischen ihm und dem Tisch vorbeizwängen, weil er keine Anstalten machte, aus dem Weg zu gehen. Dabei kam sie ihm so nah, dass sie glaubte, seinen Atem in ihrem Nacken zu spüren. Ihr Hintern rieb an etwas Hartem, das hoffentlich nur sein Bein war.
Um nicht noch unsicherer zu werden, vermied sie es, ihn anzusehen. Sie stellte das Tablett auf die Tafel und deckte zwei Plätze ein. Als sie die Teetasse nahm, klapperte sie auf der Untertasse. Was war nur los mit ihr? Sie hatte nicht einmal bei Richard gezittert.
Michelle beachtete sie nicht weiter, blätterte im Musterbuch und zeigte auf ein Stoffmuster. »Das musst du haben! Die Farbkombination ist total trendy, edel und doch frech. Selbst Brad Pitt und George Clooney haben Couchgarnituren mit diesem Bezug.«
»Was interessieren mich Schauspieler? Ich habe einen eigenen Geschmack.« Craig zuckte mit den Achseln und schaute sich um. »Und eigentlich gefällt mir meine Einrichtung.«
Aus dem Augenwinkel heraus betrachtete Lucille den weiblichen Gast. Das war also die Frau, die Bellamy am nächsten stand. Lucille konnte sie nicht leiden.
Michelle trug eine champagnerfarbene Bluse mit einem knielangen Rock. Das passende Jackett hing über einem der Stühle. Ein dünnes Diamantarmband zierte ihr Handgelenk, und ein Reif, an dem eine weiße Perle hing, schmückte ihren Hals. Ihr weizenblondes Langhaar hatte sie durch einige schwedenblonde Strähnen aufhellen lassen.
Lucille blickte an sich herab. Im Gegensatz zu Michelle sah sie mit ihrem Kürbisschopf und dem flamingofarbenen Uniformkleid wie ein Papagei aus.
Sie selbst war schon zierlich gebaut, aber Michelles Taille konnte ein Mann mit seinen beiden Händen umfassen. War Craig dieser Mann? Schlief er mit ihr?
Als Lucille aufgewühlt die Kanne nahm, schwappte etwas Tee heraus. Craig griff nach einer Serviette und wischte den Fleck so sinnlich weg, dass ihr Körper darauf mit einem Prickeln reagierte. Was war nur los mit ihr? Sie wünschte zwar nicht alle Männer auf dieser Erde in die Hölle, nur weil sie auf Richard reingefallen war, aber in den nächsten Jahren sollte das männliche Geschlecht für sie tabu sein. Besonders in ihrer jetzigen Situation standen Liebe und Sex nicht zur Debatte, denn sie hatte andere Probleme.
»Sieh es dir doch wenigstens einmal an.« Energisch tippte Michelle mit ihrem Fingernagel auf das Stoffmuster.
Er richtete sich auf und spähte zum Musterbuch hinüber, ohne auch nur einen Schritt näher heranzugehen. »Viel zu bunt.«
Dann hatte Lucille wohl keine Chance bei ihm. Innerlich verpasste sie sich einen Tritt, während sie den schwarzen Tee in die Tassen goss. Wie konnte sie nur so etwas denken? Er war ihr Arbeitgeber. Außerdem kam man Frauen wie Michelle nicht in die Quere; die Lady hatte Haare auf den Zähnen und war bissig wie ein Terrier. Alles an Ms Dearing signalisierte: Ich bin eine Geschäftsfrau, die weiß, was sie will. Bestimmt traf das auch auf ihr Privatleben zu. Bellamy musste sich warm anziehen, wenn er vermeiden wollte, dass sie die Villa nach ihren Wünschen umändern ließ.
»Halt«, sagte Craig plötzlich.
Lucille, die das Milchkännchen über die erste Tasse hielt, erstarrte erschrocken in ihrer Bewegung.
»Sie haben keine Ahnung von der englischen Teezeremonie, nicht wahr?« Ohne auf ihre Antwort zu warten, legte er seine Hand auf die ihre.
Seine Haut war angenehm warm und weich. Lucille konnte nicht glauben, dass er sie berührte, zudem vor Michelles
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