Jenseits aller Tabus
Charme zu erliegen.
Unter keinen Umständen wollte sie eine weitere Frau in Bellamys Harem werden.
Unerwartet eindringlich hatte sie in der vergangenen Nacht von ihm geträumt. Er hatte ihr lächelnd ein Scone mit Clotted Cream und Marmelade an den Mund gehalten, sie hatte abgebissen und zugelassen, dass er sie küsste und seine Zunge zwischen ihre Lippen schob, um diesen kulinarischen Genuss mit ihr zu teilen.
»So eine Schweinerei«, murmelte Lucille und gluckste, während sie den Korridor im Untergeschoss entlangschritt, um zu Patricks Büro zu gelangen und ihn zu fragen, welche Aufgabe sie als Nächstes erledigen sollte. Sie konnte noch die Süße der Marmelade schmecken und das Kitzeln von Craigs Zungenspitze an ihren Lippen spüren, dabei war alles nur ein Traum gewesen, aber ein sehr lebendiger.
Hinter ihr wurde eine Tür geöffnet. »Kirby!«
Lucille wandte sich um und sah Carson im Türrahmen der Küche stehen. Sie konnte ihn nicht ernst nehmen, weil er dünn wie eine Grissinistange war. Köche mussten ein Bäuchlein vor sich hertragen. Nur wer es genoss zu essen, kochte auch mit Leidenschaft. Dennoch mochte sie ihn. Er war streng, aber herzlich, seine Schroffheit wohl nur Fassade, denn Lucille hatte zufällig beobachtet, wie Ava sich beim Schneiden der Möhren ein Stück in den Mund geschoben hatte, und Carson hatte lediglich missbilligend seine Augenbrauen gehoben, jedoch geschwiegen.
»Haben Sie Ava gesehen?«
Stumm schüttelte Lucille ihren Kopf.
»Dann suchen Sie sie.« Die Hände gen Himmel gereckt, wollte er gerade in die Küche zurückkehren, hielt im letzten Moment jedoch inne und lächelte entschuldigend. »Bitte.«
War er unfähig, die magische Grenze seines Reiches zu überschreiten, um Ava selbst zu suchen? Gestern, als Carson zusätzlich zu seiner Kochuniform eine Kochmütze getragen und unbewusst einen Kochlöffel geschwungen hatte, während er seine Nase über einen Topf hielt und den aufsteigenden Duft des Essens inhalierte, war er ihr vorgekommen wie Merlin, der Zauberer, der irgendwelche geheimen Elixiere zusammenmischte.
Lustlos schritt Lucille das Haus ab. Sie schaute sogar im Fitnessstudio und in der kleinen Sporthalle im Keller nach und fragte sich, wozu Bellamy sie hatte einrichten lassen. Er sah eher nach Bücherwurm als nach Sportcrack aus. Während die Zimmer hier unten nahezu unbenutzt wirkten, lagen in seiner Bibliothek Bücher verstreut auf allen möglichen Ablageflächen, sogar auf der Fensterbank. Entweder stammten die Trainingsräume noch von seinen Eltern, oder er hatte sie einrichten lassen, um Frauen wie Michelle Dearing beeindrucken zu können.
In der Halle streifte Lucilles Blick zufällig die Spiegelwand, und sie bemerkte ihre sauertöpfische Miene. »Schlag ihn dir aus dem Kopf, Mädchen«, rügte sie ihr Spiegelbild.
Seufzend schlenderte sie weiter, konnte Ava jedoch nicht finden. Sie trat in den Garten hinaus. Die Luft fühlte sich an, als wäre sie gerade dabei, von ihrem gasförmigen in einen dickflüssigen Zustand überzugehen. Lucilles Beine bewegten sich nur noch träge vorwärts. Allein die Hand zu heben und über ihre Augen zu legen, fiel ihr schwer, als würde ihr Arm von einer Sekunde zur anderen einen Zentner wiegen. Es würde noch einige Wochen dauern, bis Lucille sich akklimatisiert hatte.
Schwitzend spähte sie über den Rasen und entdeckte eine Metallklappe. Das musste die Einstiegsluke zum Tornadobunker sein. Sollte sie dort etwa auch nachschauen?
Plötzlich hörte sie ein Geräusch. Es war aus dem kleinen Anbau seitlich der Villa gekommen. Vielleicht hatte der Gärtner Ava gesehen. Energisch schritt Lucille näher.
Um das Anwesen nicht mit einer Hütte zu verschandeln, hatte der Architekt das Gärtnerhäuschen in das Hauptgebäude integriert. Man konnte es allerdings nur von außen durch eine Doppeltür betreten, nicht vom Haus selbst aus, damit der Eigentümer nicht Gefahr lief, dass seine Gäste sich dorthin verirrten und eine der wenigen Ecken der Villa entdeckten, die man bei einer Home Story für ein Hochglanzmagazin verheimlichte.
Eine Reihe mit mousepadgroßen Fenstern umgab den Flachbau wie ein Stirnband. Wie alle Fensterscheiben im Haus waren sie mit einer Sonnenschutzfolie verdunkelt. Lucille musste sich auf die Zehenspitzen stellen und mit den Augen nah herankommen, um hindurchsehen zu können.
Es war tatsächlich Cory, der das Geräusch verursacht hatte, aber der drollige Latino war nicht allein. Ihm gegenüber stand Ava,
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