Jenseits aller Tabus
denn die Miene der Brünetten wurde regelrecht feindlich.
Mad kniff ihre Lippen zusammen. Einen Moment lang sah sie so aus, als wollte sie sich auf Lucille stürzen, doch Nate, ein groß gewachsener Mann mit gezupften Augenbrauen und gebleichten Zähnen, kam zu ihr, griff ihre Hand und zog sie mit sich. »Entspann dich. Sie wird es sowieso nicht lange bei uns machen.«
Ein diabolisches Lächeln erschien auf Madisons Gesicht. Sie ließ sich von Nate einen Teller füllen und in den Nebenraum tragen, gefolgt von Taylor, die sich noch einmal zu Lucille umdrehte und zischte: »Du hast nicht die Klasse, die Mr Bellamy verlangt.«
Lucille fühlte einen Stich im Herzen. Eigentlich konnte es ihr egal sein, aber das war es überraschenderweise nicht. Da sie nun mit Ava allein in der Küche stand, wirkten die bissigen Worte in der Stille nach.
Sachte knuffte Ava sie in die Seite. »Mad glaubt, sie sei Mr Bellamys Nummer eins und würde in der Hierarchie gleich hinter Patrick stehen. Sie ist eine Schlange. Ich würde ihr aus dem Weg gehen, soweit das möglich ist.«
Das war also Avas Strategie, um mit diesen Zicken klarzukommen. Alles in Lucille rebellierte dagegen, sich nicht nur dem Hausherrn, sondern auch seinem Personal unterzuordnen, aber ihr Verstand sagte ihr, dass es besser wäre, Avas Rat zu befolgen. Sie sollte schließlich in der Masse untertauchen und unauffällig bleiben. Diesen Job schon in der ersten Woche zu verlieren würde dem FBI alles andere als gefallen. Wahrscheinlich würde McCarthy nicht lange fackeln und sie sofort wieder in Schutzhaft nehmen, anstatt ihr eine neue Stelle zu suchen.
Aber sie konnte nicht zurück in diese legale Form der Gefangenschaft! Im Laufe der Untersuchungshaft hatte sie schon erste Anzeichen für einen nahenden Zusammenbruch bemerkt. Folglich musste sie vor Madison kuschen. Ihr Herz krampfte sich zusammen, und ihr Ego bekam einen schmerzenden Kratzer.
»Patrick isst immer in seinem Büro«, bemerkte Ava, als sie neben Lucille zur Arbeitsfläche ging, »und achtet sehr auf seine schlanke Linie. Vielleicht wegen seinem heimlichen Liebchen.«
Lucille prustete und ließ ihren Blick über die Dinge gleiten, die auf dem Tablett standen. »Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er eins hat.«
»Jeder hat ein Geheimnis«, sagte Ava leise und zwinkerte.
»Was ist das da?«
»Das ist eine Spezialität aus England: Clotted Cream. Rahm, fast so dick wie Butter, mit dem man die Scones«, sie zeigte auf die Brötchen, »bestreicht. Darauf gibt man dann die Marmelade.«
Erstaunt hob Lucille ihre Augenbrauen. Normalerweise aßen Reiche nur Sushi oder Salat und Fisch und nahmen Kalorien eher durch Champagner zu sich. Damit hatte sie sich in Washington nicht anfreunden können. Sie brauchte dann und wann einen stinknormalen Burger. »Sehr gehaltvoll für jemanden aus dem Jetset.«
»Mr Bellamy lebt zurückgezogen. Er geht nur selten auf Partys.« Ava füllte das Kännchen mit Milch auf. Auf einmal kicherte sie, und ihre Wangen färbten sich rosig. »Gleich wirst du Michelle Deidre Dearing kennenlernen.«
»Deidre?« Der zweite Teller war für eine Frau? Lucille presste ihre Lippen aufeinander. »Und ich dachte, mein Name sei altmodisch.«
Verschwörerisch schaute Ava zu den drei Türen, die auf den Parkplatz, in den Aufenthaltsraum und den Korridor führten, zog blitzschnell ihren Zeigefinger über die Oberfläche der Clotted Cream und leckte ihre Fingerspitze ab. »Sie ist Mr Bellamys Freundin.«
»Er hat eine Freundin?« Die Enttäuschung war Lucille deutlich anzuhören. Verlegen ergriff sie das Tablett.
Wieso machte es ihr etwas aus, dass er liiert war? Bei ihrem ersten Aufeinandertreffen hatte er sie nicht gerade herzlich willkommen geheißen. Sie hatte sich ohnehin fest vorgenommen, für die nächsten fünf Jahre Single zu bleiben. Erst wenn sie beruflich Fuß gefasst hatte, wollte sie der Liebe eine neue Chance geben. Außerdem war er ein komischer Kauz, und ein reicher Mann suchte sich normalerweise eine Partnerin im selben elitären Kreis, es sei denn, es handelte sich um einen Verrückten wie Richard. Sie wurde den Eindruck nicht los, sich mit all diesen Argumenten selbst davon überzeugen zu wollen, kein Interesse an Craig Bellamy zu haben. Wieso stieg dann ihr Puls an?
»Na ja, nicht so richtig. Sie gehen manchmal zusammen aus. Im Moment kommt sie öfters zu Besuch, denn sie ist Innenarchitektin und möchte gern die Villa neu einrichten.« Ava öffnete
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