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Jenseits aller Tabus

Jenseits aller Tabus

Titel: Jenseits aller Tabus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Henke
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Augen. Was dachte er sich nur dabei? Sah er nicht, dass er sie durcheinanderbrachte?
    »In England wird ernsthaft darüber debattiert, ob zuerst die Milch oder der Tee in die Tasse gehört. Ich halte es mit der Tradition aus Gardenrye in Newcastle-upon-Tyne. Zuerst den Zucker«, er gab zwei Löffel Zucker in den Schwarztee, kippte das Kännchen, ohne Lucilles Hand loszulassen, und ließ es über der Tasse kreisen, sodass eine Milchspirale im aromatisierten Wasser entstand, »dann die Milch und zum guten Schluss den Tee, aber den haben Sie ja nun schon eingegossen. Haben Sie das verstanden, Kirby?«
    Patrick hätte seine helle Freude an Bellamys Zurechtweisung gehabt, Lucille dagegen empfand die Situation als erregend. Noch immer hielt Craig ihre Hand fest und sah ihr bestimmt in die Augen. Seine ganze Aufmerksamkeit gehörte ihr, obwohl seine Freundin im selben Raum war.
    »Ja, Sir«, antwortete sie leise und klang ein wenig atemlos dabei. Nach ihrem Empfinden flirrte die Luft zwischen Craig und ihr. Spürte er es auch? Spielte er nur mit ihr, wie am Vormittag? Es lag kein Spott in seinem Gesichtsausdruck; er blieb ernst, schien aber nicht böse mit ihr zu sein. Sie versuchte an seiner Miene abzulesen, was genau in ihm vorging, schaffte es jedoch nicht.
    Craig zog sich zurück, und Lucille meinte, seine Berührung noch einige Sekunden lang zu spüren.
    Sie wollte gerade Milch in die zweite Tasse schenken, als Michelle laut und scharf sagte: »Nicht für mich! Milch gehört in Kaffee, aber nicht in Tee. Diese Engländer sind ein verrücktes Völkchen.«
    Als Lucille das Kännchen auf den Tisch stellte, bemerkte sie die Spur, die Avas Finger auf der Oberfläche der Clotted Cream hinterlassen hatte. Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Falls Craig die Furche bemerkte, würde er sie schon am ersten Tag feuern, da er davon ausgehen musste, dass sie den Rahm probiert hatte.
    Scheinbar hatte Michelle Lucilles intensiven Blick bemerkt, denn sie sagte: »Ich weigere mich auch, diese seltsame Schlagsahne zu essen, die eine Konsistenz wie Butter hat. Die hat doch mindestens dreißig Prozent Fett.«
    »Fünfundfünfzig.« Genugtuung schwang in seiner Stimme mit.
    Michelle dagegen riss schockiert ihre Augen auf und schüttelte dann verständnislos ihren Kopf. »Du mit deinem Nachmittagstee. Wenn es wenigstens ein Royal Tea wäre. Gegen einen Sherry hätte ich nämlich nichts einzuwenden.«
    Sie schenkte ihm ein verführerisches Lächeln, worauf er zum Sideboard ging und ihr einen Amontillado einschenkte. Als sie das Glas entgegennahm, streiften ihre Fingerspitzen seine Hand. Während sie nippte, schaute sie ihn über den Rand hinweg an.
    Lucille kochte vor Wut und ärgerte sich über sich selbst, weil Eifersucht in ihr erwachte, die völlig unnötig und unlogisch war. Aber so war es eben mit Gefühlen: Sie folgten ihren eigenen Gesetzen. Plötzlich knurrte ihr Magen.
    Lächelnd drehte sich Craig zu ihr um. »Kirby hält den Fünfuhrtee für eine gute Idee.«
    Da Lucille Michelles Giftblicke spürte und Special Agent Alex Fisher ihr geraten hatte, jeglichen Ärger zu vermeiden, versuchte sie einzulenken: »Er ist ungewöhnlich. Für Florida. Für die USA.«
    Craig kam zu ihr, stellte sich dicht vor sie und verschränkte die Arme vor dem Oberkörper. Seine Augen funkelten, jedoch nicht zornig, sondern herausfordernd. »Wollen Sie andeuten, dass ich ein Freak bin?«
    Es lag ein Körnchen Wahrheit darin, aber das musste sie unter allen Umständen für sich behalten. »Natürlich nicht.«
    »Aber?« Er hob eine Augenbraue und schwieg auffordernd.
    »Nun ja …« Craig war ihr viel zu nah. Sie konnte kaum klar denken, geschweige denn eine diplomatische Antwort finden, wenn er sie so durchdringend ansah. »Diese Einrichtung ist …«
    »Antiquiert«, fügte Michelle blasiert hinzu und knallte den Deckel des Musterbuches zu.
    Verzweifelt suchte Lucille nach einem anderen Begriff als »exzentrisch«. Schließlich sagte sie: »Britisch«, und triumphierte, da das Adjektiv herrlich wertneutral klang.
    Craig nickte, offensichtlich schmunzelnd, weil er ebenfalls fand, dass sie sich geschickt aus der Affäre gezogen hatte. »Meine Mutter Mildred stammte aus dem nordenglischen Küstenstädtchen Gardenrye. Ich habe dieses Haus von meinen Eltern übernommen, ebenso ein paar Gepflogenheiten.«
    Lucille fühlt sich bestätigt, dass er die Besitztümer und die Reederei überschrieben bekommen hatte. Wahrscheinlich war er vor der Übernahme der

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