Jenseits aller Tabus
zweiten Mal ihren Grill an – einen Zinkeimer, auf dem ein Eisenrost lag – und ignorierten ein junges Pärchen, das im Hauseingang hinter ihnen herumknutschte.
»Normalerweise kann man hier draußen um halb zwei Uhr morgens eine Stecknadel zu Boden fallen hören, aber heute sind alle in Feierlaune.« Lucille dagegen musste am Wochenende arbeiten, was ihr Magenschmerzen bereitete. Nicht das Stimmengewirr hielt sie wach, sondern die Erinnerung daran, wie Craig Caruso in die Arme geschlossen hatte. Und wie er ihn später in den Schutzbunker geführt hatte, den alle im Haus nur den »Tornadokeller« nannten.
»Ich werde nicht zurück zur Arbeit gehen«, sagte sie zögerlich und presste das Buch, das Alex ihr mitgebracht hatte, an ihre Brust. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Ihre Vernunft verbot ihr, Craig jemals wiederzusehen, doch ihr Herz sprach eine andere Sprache – es sehnte sich nach ihm! Lucille stand so kurz davor, Craig zu spüren, zu schmecken und zu kosten. Doch plötzlich schien er das Feuer zu sein, das sie endgültig zu verbrennen vermochte.
Alex Fisher drehte sich zu ihr. »Das wäre unklug. Bellamy könnte Verdacht schöpfen.«
»Oder mich ans Messer liefern.« Sie legte das Buch ab, nahm die kleine Wasserflasche, die neben ihr stand, und schüttelte sie prüfend, aber die verbliebene Pfütze würde nicht helfen, den Kloß in ihrem Hals hinunterzuspülen.
»Ich glaube nicht einmal, dass er über dich und Caruso Bescheid weiß, sonst hätte er ihn nicht zu sich eingeladen. Die Gefahr, dass ihr euch über den Weg lauft, wäre zu groß.«
»Vielleicht hast du recht.« Hoffentlich! Sie wollte nicht wahrhaben, dass Craig etwas mit Richard Dawson, Jack Caruso oder der La picadura del escorpión zu tun hatte. Aber was sollte sie nach der herzlichen Begrüßung der beiden anderes glauben?
Alex nahm ihre Hand und drückte sie freundschaftlich. »Du bist in Sicherheit.«
Lucille mochte ihn. Als er sie am Southwest Florida International Airport abgeholt hatte, fragte er sie als Erstes, ob sie etwas dagegen hätte, wenn sie sich bei den Vornamen nannten. Er hatte nicht etwa den Highway genommen, um schnellstmöglich von Fort Myers nach Cape Coral zu kommen, sondern war gemächlich an der Küste des Caloosahatchee-Flusses vorbeigefahren, um Lucille die Schönheit des Sunshine States zu zeigen.
Dabei hatte er ihr geschickt den Druck, den McCarthy aufgebaut hatte, genommen, indem er keine Silbe über Richard Dawson verlor, sondern ihr stattdessen erzählte, dass er seine Freizeit auf dem Surfboard verbrachte, was erklärte, weshalb er braun gebrannt war und die Spitzen seiner mittelblonden Haare hellblond schimmerten. Er sah seinen Job nicht so verbissen wie viele seiner Kollegen und wusste das Leben zu genießen. Vielleicht würde Lucille sogar eines Tages mit ihm ausgehen – als Freunde –, aber gefragt hatte er bisher nicht.
»Eventuell hat Caruso Bellamy ein Geschäft für BOC«, damit meinte er die Reederei Bellamy Ocean Carrier, »vorgeschlagen, um sich dadurch Zugang zur Villa zu verschaffen und herauszufinden, ob du dich dort aufhältst.« Alex ließ ihre Hand los und lehnte sich wieder mit dem Rücken gegen die Wand neben der Wohnungstür. »Das Bellamy-Anwesen gleicht einer Festung. Man kommt dort nicht so einfach hinein, deshalb hat McCarthy es auch ausgewählt.«
»Jack hat mich nicht gesehen«, sagte Lucille und rückte etwas näher an Alex heran, um eine ältere Dame durchzulassen, die ihnen eine gute Nacht wünschte und dann in dem Haus verschwand, in der auch Lucilles Apartment lag. Sofort ließ Lucille wieder etwas mehr Abstand zwischen ihnen, doch Alex hatte ohnehin keinen Annäherungsversuch darin gesehen, sondern beobachtete eindringlich den Pförtner, der einen Fernseher in der Größe eines Smartphones einschaltete.
Konnte es tatsächlich sein, dass Craig Geschäfte mit einem schmierigen Kerl wie Caruso machte? Bestimmt führte er nicht jeden seiner Freunde oder Partner ausgerechnet in den Tornadokeller. Was hatten die beiden dort gemacht? Bis zum Feierabend hatte Lucille auf eine Chance gehofft, einen Blick in den Schutzraum werfen zu können, doch Craig und Jack hatten später die ganze Zeit auf der Terrasse gesessen.
Je mehr sie darüber nachdachte, desto größer wurde der Knoten in ihrem Magen. So abwegig war eine Geschäftsbeziehung zwischen den beiden nicht. Jack Caruso besaß eine Fluggesellschaft. Das FBI vermutete, dass er Richards Waffenlieferungen auf dem Luftweg
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