Jenseits aller Tabus
nach Südamerika geschmuggelt hatte, konnte ihm aber noch nichts nachweisen. Deckte Craig mit seiner Reederei den Schifffahrtsweg ab? Hatte Caruso ihn aufgesucht, um sicherzugehen, dass die Geschäfte weiterliefen, selbst jetzt, da Richard im Gefängnis saß? Hatte Caruso Dawson beerbt und führte den illegalen Waffenhandel weiter?
Lucille rieb mit den Handflächen über ihr Gesicht. Leider lag dieser Gedanke im Bereich des Möglichen.
Aber wenn Bellamy involviert wäre, hätte die Ermittlungsbehörde des Justizministeriums sie doch nicht zu ihm geschickt. Oder doch? Womöglich missbrauchten sie Lucille als Köder. Vielleicht steckte sogar McCarthy mit Dawson unter einer Decke. Richard hatte Geld, viel Geld. Er kaufte sich was und wen er wollte. Sie linste zu Alex Fisher und öffnete ihren Mund, um ihren Verdacht auszusprechen, behielt ihn am Ende jedoch für sich. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, Alex würde ihr vermutlich keinen Glauben schenken.
»Wenn Craig etwas mit der Sache zu tun hat, wieso …«, sie musste sich räuspern, da ihre Stimme versagte, »wieso hat er mich dann nicht längst ausgeschaltet?«
»Es könnte sein, dass er erst herausfinden will, was du über die La picadura del escorpión weißt und welche Informationen du somit dem FBI gegeben hast.«
Und um das in Erfahrung zu bringen, arbeitete Craig mit allen Mitteln. Sie stöhnte, als hätte sie Schmerzen. »Aber dann wäre es doch ein Fehler, Caruso in sein Haus einzuladen, weil er Gefahr liefe, dass ich vor Schreck abhaue.«
»Und wenn er genau das will?«
Sie legte eine Hand auf das Sachbuch Forensik für Anfänger, ein Geschenk von Alex, weil sie sich in der Schutzhaft für das Thema zu interessieren begonnen hatte. »Was meinst du?«
»Könnte doch sein, dass er genau auf diesen Moment lauert. Vielleicht will er dich aus der Reserve locken, damit du einen Fehler begehst. Du könntest entweder verrückt vor Angst werden, sodass du ausflippst und alles aus dir heraussprudelt«, Alex zuckte mit den Achseln, »oder weglaufen, weil du denkst, das Bureau könnte dich nicht beschützen. Das wäre dann der Moment, wo er unauffällig zugreift, ohne seinen Leumund als unbescholtener Reeder zu zerstören.«
»Dasselbe könnte aber auch auf Caruso zutreffen. Was ist, wenn Craig keine Ahnung von alldem hat?« Weshalb verteidigte sie ihn überhaupt? Es sah gar nicht gut für ihn aus, sie zweifelte doch selbst an seiner Aufrichtigkeit.
»Craig?« Ohne den Blick von ihr zu nehmen, winkelte Alex sein Bein an und stützte sich mit dem Ellbogen auf seinem Oberschenkel ab.
Lucille errötete. »Craig Bellamy. Ich habe seinen Namen nur abgekürzt.«
»Das mache ich auch, aber ich nenne ihn Bellamy.«
Stille trat ein, in der nur die Latina mit der Gitarre zu hören war. »Yeah, the bad boys are always catching my eye«, sang sie leise. Ihr Freund neigte sich zu ihr und küsste sie auf die Wange, was die Sängerin kurz aus dem Takt brachte. Es war eine schöne laue Sommernacht, das Wochenende hatte begonnen, eine Zeit für Liebende. Ganz sicher war nur diese vermaledeite Atmosphäre daran schuld, dass sie das warme Gefühl direkt unter dem Herzen nicht loswurde.
»Also gehe ich morgen nicht zur Arbeit«, verkündete sie demonstrativ, damit Alex nicht dachte, sie würde sich zu Craig hingezogen fühlen. In Wahrheit tat sie genau das. Was die ganze Situation nur vertrackter machte.
Er nickte ernst. »Wir würden die La picadura del escorpión und ihre Geschäftspartner nur aufscheuchen. Aber wir müssen sie in dem Glauben lassen, dass wir keine Ahnung haben, was sie treiben.«
»Ich bin tatsächlich euer Köder, nicht wahr?« Sie drückte die Wasserflasche so fest, dass sich das Plastik nach innen wölbte.
Behutsam nahm Alex sie ihr ab. »Du kennst McCarthy. Bei dem geringsten Anzeichen, dass seiner Zeugin etwas zustoßen könnte, würde er dich sofort zurück nach D. C. holen.«
Und sie wussten beide, was das bedeutete. Die Mauern des Edgar J. Hoover Buildings waren viel höher als die der Wohnanlage Manatee und die Bewachung schärfer als die der Bellamy-Villa. Außerdem befürchtete Lucille immer noch, dass McCarthy eine Winzigkeit dazu veranlassen könnte, aus ihrer Schutzhaft erneut eine Untersuchungshaft zu machen. Sie war nur knapp einer Anklage entkommen. Ihr Status konnte jederzeit wieder geändert werden.
»Ich möchte nicht zurück nach Washington.« Sie wollte nur noch nach vorn schauen, weil sie Angst hatte, sonst jegliche
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