Jenseits aller Vernunft
Seine herbe Männlichkeit zeichnete sich vor dem Hintergrund des Waldes besonders markant ab.
Lydia war so fasziniert von diesem Anblick, dass sie den Stein nicht bemerkte, der mitten auf dem Weg lag. Sie stolperte, knickte in den Knien ein und verschüttete die Nägel. Beschämt über ihre Zerstreutheit bückte sie sich hastig, um sie aufzuheben. Doch gerade als sie die Hände ausstreckte, hörte sie das bedrohliche Rasseln. Sie erstarrte. Eine Klapperschlange lag zusammengerollt direkt neben dem Stein, an den sie gestoßen war.
Lydias Schrei zer riss die Abendluft und sie sprang zurück. In Erwartung des schmerzhaften Schlangenbisses wandte sie den Kopf, um einen letzten Blick auf Ross zu werfen.
Bei ihrem Schrei ließ er sich fallen, riss die Pistole aus dem Halfter und rollte dabei zweimal herum. Dann, scheinbar ohne überhaupt gezielt zu haben, schloss er. Lydia schrie noch einmal, als der Kopf der Schlange durch Ross’ Volltreffer sauber vom Körper getrennt wurde. Die tote Viper wand sich noch ein paarmal, nur wenige Zentimeter vor ihrem Schuh, dann lag sie still.
Wie gebannt stand Lydia da und starrte Ross an. Er hatte die Pistole offenbar in der gleichen instinkthaften Blitzesschnelle abgeschossen, mit der eine Schlange zum Biss zuschlägt. Sie wusste nicht, was von beiden ihr unheimlicher war.
Sprachlos, regungslos vor Respekt sah sie zu, wie er aufsprang und zu ihr herüberkam. Sie schrak etwas zurück, als er sich neben sie kniete. Dieser Mann konnte genauso todbringend sein wie ein Reptil.
»Lydia, hat sie dich erwischt?« Die Frage tat ihm weh, als hätte man sie ihm aus der Kehle gerissen. Seine Züge waren verzerrt vor Angst.
Noch eine solche Kehrtwendung. Unter ihren Augen war er vom Todbringer zum Tröster geworden. Das alles überstieg Lydias Selbstkontrolle. »Nein, nein«, stotterte sie und fing an, am ganzen Körper unhaltbar zu zittern.
Sie streckte die Arme nach ihm aus und kroch zu ihm, bis sie an seiner Brust lag und in sein Hemd weinte. Seine Arme hatten sich um sie gelegt und sie an sich gezogen, ihre kleine Gestalt an seine schützende Größe gedrückt. Er vergrub sein Gesicht in ihrem Haar und murmelte ihr beruhigend zu.
Lydia hob ihren tränenschweren Blick zu ihm. »Noch vor ein paar Wochen wollte ich sterben. Aber als ich die Klapperschlange sah, wollte ich nicht sterben und Lee verlassen. Und ich wollte... auch dich nicht verlassen, Ross.«
»Lydia«, stammelte er, und dann senkte sich sein Mund hart auf den ihren, pre ss te in einen Kuss all die Spannung, die sich seit Wochen in ihm aufgestaut hatte. Ihre Münder trafen sich in dem überwältigenden Drang, sich zu beweisen, dass sie eine drohende Katastrophe überlebt hatten. Sie atmeten schwer, als seine Zunge sich ungehindert und tief in ihren Mund bohrte. Ihre Hände auf seinen Schultern öffneten sich weit, die Finger ausgestreckt, hielten sich zuerst an seinen Schultern fest und entspannten sich dann auf dem Weg in seinen Nacken.
Leises Stöhnen entrang sich seiner Kehle, als seine Hände ihren schlanken Rücken erforschten. Seine elementaren Instinkte brachen sich Bahn, sie zu seinem Besitz zu machen, zu beschützen, sich mit ihr zu vereinigen. Mit seinen Händen um ihre Hüften hob er sie an seine Hitze, die sich fest in ihre Weichteile drückte. Er rieb sich an ihrer nachgiebigen Mitte, dem Zugang zu ihrer Weiblichkeit.
Ross dachte, das tiefe, polternde Geräusch wäre das Pochen seines Herzens in seinen Ohren. Aber Lydia begriff, dass es sich eilig nähernde Schritte waren und löste sich von ihm. Leute kamen angerannt, um nachzusehen, was die Schüsse zu bedeuten hatten. Ma, die Lee hastig in Anabeths Arme geschoben hatte, eilte allen voran, und die ganze Gruppe versammelte sich um das kniende Paar.
Alle starrten den grausigen Körper der Schlange an, die Erklärung genug war.
»Verfluchtes Glück gehabt, würde ich sagen.«
»Das hätte jeden anderen von uns treffen können, erst vor fünf Minuten sind wir hier noch achtlos herumgetrampelt.«
»Ein Glück, dass es keins von den Kindern war.«
»Wie habt ihr bloß diesen Schu ss hinbekommen, Ross?«
Lydia sah in seine grünen Augen. Darin lag ein schweigendes Flehen. Sie verstand. Er bat sie, nicht von seiner unglaublichen Treffsicherheit zu erzählen. In diesem Augenblick verstand sie ein weiteres Element im Charakter ihres Mannes, etwas, das sie vorher schon gespürt, aber nicht hatte benennen können. Auch er hatte etwas zu verbergen. Mit Pferden
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