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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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zurück, unter der Joern lag, und Joern tat so, als schliefe er noch. Er wusste, was sie sahen. Man konnte sich die blauen Flecke nicht wirklich aus dem Leib schlafen. Sein Körper war übersät mit ihnen wie ein Dalmatinerfell mit schwarzen Punkten. An seinerlinken Hand trug er einen Verband. Mama hatte ihn zum Arzt geschleift, immerhin waren keine Knochen gebrochen.
    Joern hörte, wie Dirk durch die Zähne pfiff. »Nicht schlecht«, sagte er. »Der Kleine hat ordentlich was abgekriegt. Wird Zeit, dass er lernt, wie das Leben läuft.«
    »Und warum sollen wir das angerichtet haben?«, fragte Dennis. »Wir haben ihm nichts getan! Wir haben nur ein paar Steine auf die Bullen geworfen.«
    »Bist du wirklich so dumm?«, fragte Onnar. Seine warme Stimme versuchte kalt zu sein, doch es gelang ihr nicht ganz. »Nur ein paar Steine auf Polizisten zu werfen! Sie hätten niemandem etwas getan, wenn ihr es gelassen hättet. Sie machen ihre Arbeit, das ist alles.«
    »Jetzt fang du noch an, die Bullen in Schutz zu nehmen!«, rief Dario. »Wer bist du? Der friedliche Oberpriester? Du machst dich doch lächerlich! Wir müssen ihnen zeigen, zu was wir bereit sind! Wer friedlich ist, zieht immer den Kürzeren!«
    »Sprengstoff habt ihr genug da oben im Berg«, sagte Damian leise. »Warum jagt ihr ihnen nicht mal auf ganz andere Art einen Schreck ein?«
    »Sei still«, sagte Onnar ruhig. »Ich will so etwas nicht hören!«
    »Du wirst es aber hören«, sagte Damian. »Immer und immer wieder wirst du es hören. Bis du es kapierst. Dann wirst du uns dankbar sein für unsere guten Ideen. Und im Berg wird es lauter als durch euer kindisches Getrommel unddie Schleiferei wird Flammen schlagen wie ein Osterfeuer.« Er verstummte und machte ein ersticktes Geräusch.
    Joern gab es auf, sich schlafend zu stellen. Er setzte sich auf und sah, dass Onnar den ältesten seiner Brüder im Nacken gepackt hatte und seinen Kopf mit aller Kraft hinunterdrückte, dicht über den Topf, in dem die Suppe für das Abendessen beim Kochen Blasen schlug. Damian wand sich, aber Onnar war doch noch ein wenig stärker als er.
    »Da!«, sagte er. »Wenn du willst, dass ich jemandem einen Schreck einjage, bist du mein erstes Opfer! So sieht Gewalt aus, verstehst du? Ich bin dein Bruder, vergiss das nicht, und ich kann genauso dumme Dinge tun wie du!«
    Damians Nase war nur Zentimeter von der kochenden Suppe entfernt. Dennis, Dirk und Dario waren einen Schritt zurückgetreten und Mama stand zwischen ihnen, die Augen weit vor Entsetzen. Nervös umklammerte sie einen alten Häkeltopflappen. Er war gelb mit hellblauem Muster.
    »Hört auf damit!«, rief sie. »Hört sofort auf! Wir sind eine Familie! Lass ihn los, Onnar! Und ihr Übrigen haltet den Rest des Abends den Mund!« Es klang nicht wie ein Befehl, sondern wie eine Bitte. Hilflos. Joern dachte, dass er etwas sagen müsste, irgendetwas, um ihr zu helfen. Ihm fiel nichts ein.
    »Eine Familie«, knurrte Onnar. »Kitzel mich mal, damit ich lache!«
    Dann zog er Damian wieder hoch und ließ ihn los. Einen Moment lang starrten die beiden sich an, keuchend vorWut. Dann setzten sie sich alle an den Tisch. Mama schüttelte den Kopf. In ihrem Augenwinkel sah Joern eine Träne glitzern.
    »Ich … äh, bin wieder wach«, sagte er, doch niemand antwortete.
    Joern zog sich einen Stuhl an den Tisch, Mama schenkte Suppe aus und schließlich beugten alle die Köpfe und löffelten stumm ihre Teller leer. Sie kamen sich dabei wie immer mit den Ellenbogen in die Quere. Die Glühbirne in der tief hängenden Lampe knisterte, als spürte auch sie die Spannung in der winzigen Küche.
    Und Joern dachte: In Frentjes Küche sitzen sie jetzt um den riesigen Tisch und essen wundervolle, frische Dinge aus Olafs Garten. Dabei spielen sie Nudelfußball und lachen und erzählen einander Geschichten. Und Lasse sitzt mit seinem Vater im Gutshaus vor dem Kaminfeuer. Vielleicht schmieden sie gerade einen abenteuerlichen Plan, wie sie den Kjerk erlegen werden, einen Plan voller unterirdischer Geheimgänge und Schwerter und nächtlicher Ritte. Und ganz ohne Steine und Polizisten und schwarze Straßen.
    Er blickte in die schweigende Runde der gebeugten Köpfe. Er spürte, dass der Streit jeden Moment wieder aufflammen konnte. Aus dem Wohnzimmer drang wie stets der Geruch der trocknenden Wäsche. Das Küchenfenster war grau von Kohlenstaub. Draußen zog der Abend in den Hinterhof.
    Und da fasste Joern einen Entschluss.
    Er würde nicht hierbleiben.

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