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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Nichts bist du, wie willst du Onnar helfen? Aus dem Megafon dröhnten Worte, denen keiner mehr zuhörte. Joern versuchte sich einen Weg aus der Menge zu bahnen.
    »Onnar!«, schrie er. »Onnar?«
    »Joern!«, rief jemand neben ihm, doch es war nicht Onnar. »Joern! Hierher!«
    Es war Holm, Holm, der Schauspieler. Joern sah sein Gesicht nur kurz. Es lag ein seltsamer Ausdruck darauf, keine Panik, sondern etwas wie tiefe Traurigkeit. Holm bugsierte Joern bis zum Rand der Menge und gab ihm einen Stoß.
    »Lauf!«, sagte er. »Ich finde Onnar. Und pass auf dich auf. Nicht nur hier. Auch anderswo. Denk daran.«
    Dann verschwand er wieder im Getümmel. Auch anderswo? Was hatte er gemeint?
    Flop entwand sich Joerns Griff und raste mit wehenden Ohren davon in eine Seitenstraße. Und auch Joern wäre gelaufen, so wie Holm es gesagt hatte, hätte er nicht in diesem Moment im Ozean der Menge ein Gesicht entdeckt – ein blasses Gesicht, umrahmt von langem braunem Haar, irgendwo hinter einer Mauer aus Uniformen und harten Worten. Die Augen in diesem Gesicht sahen ihn an und er begriff erst, als das Gesicht schon fortgeschwemmt worden war.
    »Mama!«, schrie Joern.
    Was tat sie hier? Sie, die abgesehen vom jungen Pöhlkeals Einzige nicht hatte streiken wollen? Er musste zu ihr, zurück ins Chaos. Wenn er sich jetzt nur auf Westwind hätte schwingen können! Lasse und er wären in die Menge hineingeritten wie in einen seichten See. Sie hätten Joerns Mutter zu sich hinaufgezogen, denn Westwind war stark. Das Pflaster hätte nur so Funken geschlagen unter seinen Hufen und er hätte sie alle drei fortgetragen: bis ans Ende der Schwarzen Stadt, bis über die Todesschlucht, bis in den Norderwald, wo immer die Sonne schien.
    Doch hier gab es keinen Westwind und keinen Lasse. Joern war ganz allein. Onnar war irgendwo in einen Kampf verwickelt, die vier D waren übergeschnappt und er musste selbst sehen, wie er seiner Mutter half. Joern stürzte vorwärts, spürte einen Schlag in die Seite und wurde von den Füßen gerissen. Als er wieder hochkam, sah er, wie etwas aus seiner Tasche kullerte, unter die Füße der wahnsinnigen Menge. Der Ring. Der Ring mit den Buchstaben I & D und dem Stück Nachtspat. Joern machte einen Satz, streckte den Arm aus, bekam den Ring zu fassen, schloss seine Faust um ihn – und erhielt einen weiteren Tritt. Als er diesmal auf dem Boden landete, stolperte jemand über ihn. Er sah auf und begriff, dass die Leute aufgegeben hatten. Jetzt endlich löste die Demonstration sich auf, die Menschen liefen in alle Richtungen auseinander und er lag ihnen im Weg. Sie sahen Joern nicht einmal. Jemand trat auf seine freie Hand und er schrie. Aber er hatte keine Chance. Er krümmte sich zu einer Kugel zusammen und kniff die Augen zu. Die Schritte vorbeirennender Füße donnerten in seinen Ohren,als hätte jemand die Trommel aufgehoben, um sie wieder zu schlagen.
    »Lasse!«, rief Joern, obwohl er wusste, dass das Unsinn war. »Lasse, wo bist du, wenn man dich braucht, verdammt?«
    Da packte ihn jemand am Arm. Er fühlte, wie er hochgezerrt wurde.
    »Lasse?«, fragte er ungläubig.
    »Onnar«, sagte Onnar.
    Joern öffnete die Augen. Neben Onnar entdeckte er das Gesicht seiner Mutter. Er atmete auf. Wenn nur nicht alles an ihm so wehgetan hätte! Der Schmerz, den die Tritte hinterlassen hatten, hüllte ihn ein wie eine hellrote Wolke.
    Onnar hob ihn vorsichtig hoch wie eine zerbrochene Puppe. Nur Joerns Faust war immer noch um den Ring geballt. Das Letzte, was er von der Demonstration sah, waren die Worte auf einem Plakat, das im Dreck lag, halb zerrissen: EDEL SEIN stand darauf.

Nur ein paar Steine
    D u bist ein Idiot«, sagte Onnar. »Ihr seid alle Idioten. Es macht mich wahnsinnig, mit euch unter einem Dach zu wohnen.«
    Joern blinzelte. Er lag auf zwei Stühlen in der Küche und hatte bis eben geschlafen. Die blauen Flecke aus dem Leib schlafen, nannte Mama es. Sie hatte ihn bei sich in der Küche haben wollen, während sie das Abendessen kochte. Ihr selbst war nichts passiert bei der Demonstration. Die vier D waren klug genug gewesen, fürs Erste zu verschwinden, aber nun waren sie hungrig genug, um wieder aufzutauchen.
    »Wie ein Rudel Wölfe«, sagte Onnar. »Wenn es was zu beißen gibt, seid ihr da, und sobald man etwas anderes von euch will, kann man keinen von euch finden. In euren Köpfen ist nicht ein einziger vernünftiger Gedanke! Da, seht euch an, was ihr angerichtet habt!«
    Er schlug die Wolldecke

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