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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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aufhörten, dem Kjerk nachzujagen? Oder Frentje? Oder Johann? Es konnte jeder gewesen sein. Ich wollte Joern fragen, doch ehe ich das tun konnte, zeigte er nach Westen in den Wald.
    »Lasse!«, sagte er. »Guck dir das an! Da, über den Bäumen!«
    Ich folgte seinem Blick. Über den grünen Kronen schlängelte sich in der Ferne ein dünner Rauchfaden in den Himmel.
    »Vielleicht hat Johann ein Feuer gemacht«, meinte ich.
    »Johann ist in die andere Richtung geritten«, sagte Joern und damit hatte er recht.
    Frentje klapperte in ihrer Küche mit dem Abwasch herum und sang dabei und Olaf ärgerte sich im Garten über das ungehorsame Gemüse.
    »Vielleicht macht der Postbote ein Feuerchen mit den Briefen, die er vergessen hat abzugeben«, sagte ich und lachte nervös.
    »Weißt du, was für eine Richtung das ist?«, fragte Joern ernst.
    Ich nickte. Das wusste ich ganz gut. Es war die Richtung, in der die Lichtung lag, auf der Johann nichts gefunden hatte.
    »Ich hole das Fahrrad«, sagte ich und meine Stimme war ganz trocken. »Hier, steck das Messer wieder ein.«
    Und dann holperten wir zu zweit auf dem Fahrrad quer durch den Wald. Joern saß auf dem Gepäckträger und ich glaube, er wurde ordentlich durchgerüttelt. Ich hätte lieber auf Westwinds breitem Rücken gesessen statt auf dem schmalen Plastiksattel eines Fahrrads. Doch ein Fahrrad konnte nicht scheuen und der Kjerk konnte tausendmal in ein Fahrrad beißen, es käme kein warmes Blut heraus. Außerdem brachte nichts und niemand mein Pferd wieder zu der Lichtung, da war ich mir sicher.
    Leider dauerte der Weg mit dem Fahrrad sehr lang. Nicht so lang wie zu Fuß, aber es kam mir trotzdem ewig vor. Vielleicht war der, der die Rauchsäule fabriziert hatte, gar nicht mehr da, wenn wir ankamen. Als ich schon dachte, wir würden den ganzen Tag durch den Wald fahren, drang der Geruch von Rauch in meine Nase. Es war kein Geruch nach Kaminfeuer und Kohle. Er kam mir bekannt vor, doch mir fiel nicht ein, woher. Was verbrannte dort vor uns im Wald? Ich bremste so scharf, dass Joern fast vom Gepäckträger fiel, und wir stiegen ab.
    »Gleich sind wir da«, flüsterte Joern.
    Ich nickte stumm. Wir lehnten das Fahrrad an einen Baum und gingen zu Fuß weiter, so leise wir konnten. Kein knackender Ast, kein trockenes Laub durfte uns jetzt verraten. Die Ungeduld in mir mischte sich mit Furcht, als wir uns dem Feuer näherten.
    Vorsichtig schoben wir die letzten Blätter beiseite – millimeterweit nur, gerade genug, um durchs Gebüsch hindurchzuspähen.
    Und was wir dort auf der Lichtung erblickten, hatte Federn, dunkelblau wie eine sternklare Nacht.
    Vor uns, auf der Lichtung, saß der Kjerk.
    Ich hatte ihn die ganze Zeit über finden wollen, aber nie, nie hatte ich geglaubt, dass wir ihn wirklich fänden. Trotz seiner nachtblauen Federn und trotz der gerissenen Lämmer und trotz Westwinds Wunde war es so gewesen, als folgten wir einem Phantom, das nur Spuren hinterließ, aber niemals gesehen werden konnte.
    Und nun stand er nur wenige Meter von uns entfernt vor dem Felsenberg mit der Fuchshöhle. Er war deutlich größer als ein Fuchs, vielleicht so groß wie ein Bär. Ich merkte, dass ich Joerns Arm umklammert hielt und er meinen. So starrten wir den Kjerk an.
    Am ehesten glich er einem Adler. Die nachtblauen Federn bedeckten seinen Körper ganz. Er besaß zwei kurze Beine mit riesigen Krallen und weite Schwingen, doch sein Kopf, obwohl gefiedert, war nicht der eines Vogels. Es war der Kopf eines Wolfes. Ohren konnte man keine erkennen, aber eine lang gezogene Schnauze. Und als er den Kopf ein wenig bewegte, fiel das warme goldene Licht des Norderwaldes auf seine Reißzähne. Da wurde das Licht mit einem Mal farblos und kalt und die Zähne blitzten darin auf wie Dolche. Nun war klar, weshalb die Wunden, die der Kjerk riss, so glatt aussahen wie Schnitte: Seine Zähne waren geschliffen scharf wie Messer.
    Der Kjerk schien zu lauschen. Vor ihm lag ein Tier im Gras, ein regloses Tier. Ich hoffte, dass es nicht noch eines unserer Lämmer war. Offenbar hatte der Kjerk gemerkt, dass etwas sich ihm näherte. Er drehte und wendete den Wolfskopf, um herauszufinden, woher die kamen, die ihn bei seiner Mahlzeit störten. Würde er dieses Tier fressen? Oder – was für ein grauslicher Gedanke – leckte er nur das Blut seiner Opfer auf?
    Ich nahm ganz langsam meinen Bogen von der Schulter. Der Kjerk zuckte wieder mit dem Kopf. Er hatte es rascheln gehört. Doch vermutlich kam der

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