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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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uns würdest du auf ewig in einer Zelle sitzen und verfaulen!«, schrie Dennis.
    »Ich wünschte, das würde ich«, antwortete Onnar. »Geklauten Nachtspat zu verkaufen! Ihr seid auf dem besten Wege, genauso zu werden wie euer Vater!«
    »Es ist auch dein Vater!«, rief Joern.
    Onnar war schon mit einem Fuß im Treppenhaus, doch nun drehte er sich noch einmal um und sah Joern an. Seine wasserklaren Augen blickten unbeschreiblich traurig.
    »Nein«, sagte er leise. »Nein, Joern, das ist er nicht.«
    Durchs Flurfenster sahen wir, wie Onnar unten aus der Haustür trat. Dort kam gerade jemand die Straße entlang, und als er Onnar erreichte, sah ich, dass es Holm war. Onnar sprach ein paar Worte mit ihm, dann gingen sie zusammen weg. Hinter uns in der Küche brüllten die vier D noch immer herum und ein paar andere Männer versuchten sie zu beruhigen. Mehr Bierflaschen wurden geöffnet.
    »Lass uns gehen«, sagte Joern. »Onnar hat recht. Hier kann man nicht nachdenken.«
    »Wohin gehen wir?«, fragte ich auf der Treppe.
    »Ich dachte, du wolltest zum Krankenhaus?«, fragte Joern. »Um herauszufinden, wer du bist?«
    »Ja«, sagte ich. »Schon. Aber jetzt bin ich mir langsam auch nicht mehr sicher, wer Onnar ist. Sollten wir nicht deine Mutter fragen?«
    Joern warf mir einen Blick zu. »Glaubst du, sie würde die Wahrheit sagen?«, fragte er zurück. »Hast du je einen Erwachsenen getroffen, der die Wahrheit gesagt hat?«
    Nun könnte ich euch erzählen, wie wir den Rest des Tages damit zubrachten, durch endlose Korridore zu wandern und mit Leuten zu reden, die uns keine Auskunft geben wollten. Aber das wäre sehr langweilig. Tatsache ist, dass wir nichts herausfanden, absolut gar nichts. Erst sagten alle, sie dürften gar nicht nachgucken, und als sie schließlich nachguckten, gab es nirgendwo einen Lasse Windström.
    »Natürlich nicht!«, rief ich. »Ich wurde ja auch adoptiert! Vielleicht hieß ich vorher ganz anders! Sehen Sie doch nach, welches Kind von einem Herrn Windström adoptiert wurde!«
    »Über einen Herrn Windström steht hier nichts«, sagte die Oberschwester schnippisch und glättete ihr perfekt glattes Haar. »Von einem Herrn Windström habe ich noch nie gehört. Auf Wiedersehen.«
    Und da begriff ich, dass mein Vater nicht nur nicht mein Vater war. Vermutlich hieß er außerhalb des Norderwalds nicht einmal Flint Windström. Er hatte all seine Spuren gründlich verwischt.

Warum fragen Kinder so viel?
    Z wei Tage«, sagte Flint. »Es sind jetzt schon fast zwei Tage.«
    Er und Almut saßen auf der Bank neben der Weide, wo Tom vor so langer Zeit eine Geschichte gehört hatte. Lauschte auch jetzt jemand hinter ihnen im Dickicht des Waldrandes, unsichtbar, verborgen?
    Die Schafe hatten ihre Köpfe unbekümmert über die Wiese gebeugt und ein paar wollige weiße Lämmer hüpften zwischen ihnen herum. Ein violetter Nachmittag lag über dem Norderwald, leise und friedlich. Kein Kjerk würde diesen Frieden mehr stören. Dennoch war nichts, wie es sein sollte.
    »Er kommt schon wieder«, sagte Almut.
    »Du weißt, wo er ist«, sagte Flint. Es war keine Frage. Es war eine Feststellung.
    »Du hast ihn belogen«, sagte Almut. »Wer liegt auf der Lichtung begraben, Flint?«
    Flint schüttelte den Kopf. »Frag nicht so viel. Warum fragen Kinder so viel? Sind die Dinge nicht gut, so wie sie sind?« Er machte eine Bewegung, die alles einschloss: die Lämmer auf der Koppel, den Stall, den Norderhof, den Wald.»Wenn du die Wahrheit wissen willst«, sagte er. »Ehe ich das Gutshaus gekauft habe und die Häuser vom Norderhof, war alles verfallen hier. Ruinen. Ich habe sie wiederaufgebaut. Ich habe den Wald umzäunt, damit das Böse nicht hereinkommt. Und ich habe euch hergeholt: deine Eltern und Johann und den Lehrer Marksen mit seiner Frau – und alle waren glücklich hier. Nicht wahr?«
    »Ja«, sagte Almut. »Aber man kann nicht sein Leben lang herumlaufen und glücklich sein. Es geht einfach nicht. Verstehst du?«
    »Nein«, sagte Flint.
    Almut stand auf. »Das dachte ich mir.« Sie ging ein paar Schritte von Flint weg, doch dann drehte sie sich noch einmal um. »Er ist in der Schwarzen Stadt«, sagte sie. »Bei seinem Freund Joern. Wo genau, weiß ich nicht. Ich weiß nicht einmal Joerns Nachnamen. Du kannst ihn nicht finden, wenn er dich nicht lässt.«
    »In der Schwarzen Stadt?«, rief Flint. »Ihr wisst davon?«
    »Natürlich«, sagte Almut. »Es war klar, dass wir sie eines Tages entdecken würden, oder? Da

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