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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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ist ein Loch in der Mauer. Und es gibt eine Brücke über den Finsterbach. Joern und Lasse haben sie gebaut.«
    Flint sprang auf. »Ich muss ihn finden. Die Schwarze Stadt ist gefährlich, Almut! Ihr denkt, ihr wisst alles! Ihr habt ja keine Ahnung! Die Schwarze Stadt ist ein Raubtier. Sie frisst alle, die sich nicht in ihr auskennen. Damals, als Kind, habe ich mich nur fortgewünscht von dort.«
    »Also kommst du auch aus der Schwarzen Stadt«, sagte Almut. »Irgendwie habe ich mir das gedacht.«
    Flint fühlte sich wieder wie ein kleiner Junge, als er kurz darauf durch das Loch in der Mauer kroch.
    Almut hatte recht gehabt.
    Es gab eine Brücke über den Finsterbach.
    Der Finsterbach. Flint lächelte. Schon er hatte ihn als Kind gefürchtet. Wie oft hatte er an seinem Ufer gestanden, zu der alten Mauer hinübergesehen und gewünscht, er könnte sie überwinden! Damals hatte es kein Loch gegeben.
    Er hatte nur gewusst, dass ein Wald hinter der Mauer lag. Ein riesiger grüner Wald ohne rußige Straßen und ohne ewige, künstliche Lichter. Später, viel später, als er ihn betreten hatte, war der Wald noch viel schöner gewesen, als er ihn sich vorgestellt hatte. Er war von der anderen Seite über die Straße in den Wald gelangt, außen herum, und es war sofort klar gewesen, dass er den Wald kaufen würde. Den ganzen Wald, samt der Mauer.
    In der Schwarzen Stadt hatten sie nichts davon erfahren. Sie hatten gedacht, er wäre weggegangen, weit weg. Sie hatten Flints Schildern geglaubt: VORSICHT! MILITÄRISCHES SPERRGEBIET!
    Fünfundzwanzig Jahre lang war keiner von ihnen darauf gekommen, außen um den Wald herumzufahren. Dabei war das Tor in den Wald leicht zu finden. Und jetzt, nach fünfundzwanzig Jahren, hatte einer es gefunden. Einer mitgenug Hass im Herzen, um Flint zu töten. Einer, der wiederkommen würde. Schon heute Nacht konnte seine Kugel ihr Ziel finden: Flints Herz.
    Ihm blieb nicht viel Zeit. Ja: Er musste Lasse finden.
    Die Straßen waren breiter geworden. Die Häuser, die Menschenmengen – alles war noch größer und noch lauter und noch schwärzer, als Flint es in Erinnerung hatte. Er hatte es in den letzten Jahren vermieden herzukommen. Er hatte telefoniert, das war ausreichend gewesen.
    Wo sollte er nach Lasse suchen? Er ließ sich ziellos durch die Straßen treiben, den Hut tief ins Gesicht gezogen, den Kragen hochgeschlagen. Niemand brauchte ihn zu erkennen. Immer wieder waren da Jungen auf der Straße, die aussahen wie Lasse, doch wenn er sie erreichte, musste er feststellen, dass er sich getäuscht hatte. Er hätte die Polizei einschalten sollen. Vielleicht würde er es noch tun. Je nachdem, ob sein Plan es zuließ.
    Die Dämmerung kam, die kalten Lichter in der Schwarzen Stadt gingen an und Flint fror. Er sah an dem Gebäude hoch, vor das ihn seine Füße getragen hatten, und merkte, dass er es kannte. Es war das Krankenhaus, in dem er Lasse vor zwölf Jahren abgeholt hatte.
    »Du warst so klein«, flüsterte er, als könnte Lasse ihn hören. »So winzig klein und schwach und krank und sie sagten, vielleicht brächte ich dich nicht durch die ersten beiden Jahre. Wenn sie dich jetzt sehen könnten, wie du durch die Wälder reitest und durch die Flüsse schwimmst!Wie du auf eigene Faust losgehst, um herauszufinden, wer du bist …« Und in diesem Moment begriff Flint, dass dies der beste Ort war, an dem er seinen Sohn suchen konnte. Genau hierher würde Lasse kommen, um mehr über sich selbst herauszufinden.
    Er rannte die Stufen des Krankenhauses hinauf, als gelte es sein Leben, verlief sich in den Korridoren, hörte den eigenen Atem in seinen Lungen pfeifen. Schließlich fand er die Säuglingsstation. Er gab der Oberschwester seinen richtigen Namen und sie zwang sich zu einem künstlichen Lächeln. Hasste auch sie ihn? Hassten sie ihn hier alle?
    »Was kann ich für Sie tun?«
    »Sie erinnern sich, dass ich ein Kind adoptiert habe, das hier bei Ihnen geboren wurde? Vor zwölf Jahren?«
    »Es ist lange her, aber ich erinnere mich.«
    »Der Junge heißt Lasse. Ich bin auf der Suche nach ihm. Er ist seit zwei Tagen verschwunden.«
    »Er ist weggelaufen?«
    Wieder sah er den Hass hinter ihrem Lächeln. Das Misstrauen. Und er wusste, was sie dachte: Natürlich ist der Junge weggelaufen. Jeder würde von so einem Vater weglaufen. Hatte sie am Ende recht?
    »Er ist ungefähr so groß«, sagte Flint und deutete mit der Hand an seine Schulter. »Braune Haare, grüne Augen, grün wie Moos –

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