Jenseits der Finsternis - Eine Vampir Romanze (German Edition)
schauderhafte Orte führten, dass sie allerdings mitten in der Nacht an einen Tatort gerufen wurde, war neu.
Aus welchem Grund braucht Division Chief Reynolds am Tatort eines Mordes eine Hämatologin? fragte sie sich und strich sich eine Locke ihres brünetten Haares aus der Stirn. Sie ärgerte sich, dass sie keine Kopfbedeckung mitgenommen hatte. Es war doch kälter, als es von ihrer Wohnung aus ausgesehen hatte. Der dezente Hauch ihres Parfums Chanel No. 5 vermochte es auch nicht, gegen die Kälte anzukämpfen. Einfach nur ein normaler Tag im Büro , versuchte sie sich einzureden. Aber sie wusste, dass das nicht stimmte. Normalerweise verbrachte sie ihre Tage damit, in der forensischen Abteilung des FBI zu sitzen und Blutproben zu untersuchen.
Dies war ein Sonderfall. Irgendetwas war heute anders.
Als sie zum Tatort vordrang, sah sie auch auf den ersten Blick, was es war. Sie zog die kalte Luft durch die Lippen ein. Sie war zwar mit ihren zweiunddreißig Jahren noch nicht besonders lange in diesem Geschäft, aber so etwas hatte sie noch nie gesehen.
Genau genommen, hatte sie von so etwas noch nicht einmal gehört. Die ansonsten so freundliche Umgebung des Central Park hatte sich in einen Ort des Grauens verwandelt. Schnee knirschte unter Lindas Stiefeln.
All ihre Beschwichtigungsversuche, es sei nur ein normaler Job, schwanden bei dem Anblick, der sich ihr bot. Was immer es auch war, einst war es wohl ein Mensch gewesen. Jetzt aber zeigte sich Dr. Linda Taylor etwas, das eher mit einer Mumie vergleichbar war.
„ Ein Dollar für deine Gedanken“, sagte eine tiefe Stimme hinter ihr. Linda erkannte sofort, dass es sich um ihren Vorgesetzten, Division Chief Pat Reynolds handelte. Sie wandte sich zu ihm um und blickte in das sonst so gelassen wirkende rundliche, von einem dichten Schnurrbart verzierte Gesicht des FBI-Ermittlers. Sie stellte fest, dass er seit ihrer letzten Begegnung ein wenig abgenommen hatte. Sonst hatte er immer einen leicht spöttischen Zug um die Lippen. Er war ein Zyniker. Das war seine Art, mit seinem Beruf und den Dingen, die er dabei zu sehen bekam, umzugehen. Diesmal aber lag ein Ausdruck in seinen Zügen, den sie von ihm so nicht kannte.
Es war ein Anflug von Beunruhigung.
Noch bevor sie antworten konnte, wurde sie von einem Blitzlicht abgelenkt. Sie wandte sich von Chief Reynolds ab und beobachtete, wie ihr Kollege Jay Barnes die Leiche fotografierte. Jay war der Special-Agent, der auch die Polizeifotos machte. Er war für seine penible Arbeitsweise bekannt. Er nickte Linda mit einem spitzbübischen Grinsen aus seinem jugendlichen Gesicht zu. Sein dunkelblondes Haar sah selbst bei diesem Wetter gut aus. Schon seit einiger Zeit war es für Linda offensichtlich, dass sich Jay zu ihr hingezogen fühlte – Eine Empfindung, die von ihr durchaus erwidert wurde, wenngleich er auch ein wenig zu forsch war.
„ Ich glaube“, sagte Linda, und sah ihren Chef wieder an. °Meine Gedanken sind im Moment wesentlich mehr wert, als einen Dollar. Ich habe so etwas in meinem Leben noch nie gesehen. Außer in Horrorfilmen. Was ist mit diesem Mann geschehen?“ fragte sie Reynolds und wandte sich wieder der ausgedörrten Leiche zu.
Pat Reynolds Blick war auf sie fixiert. Er nickte nicht und machte auch sonst keine Anstalten zu reagieren, aber es war offensichtlich, dass er in diesem Moment dasselbe dachte wie sie. Dann räusperte er sich. Ein kleiner Nebel aus Atem stieg vor seinem Schnurrbart in die kalte New Yorker Nachtluft. „Das...“, sagte er mit der für seine Statur viel zu hohen Stimme, „das möchte ich eigentlich von Ihnen wissen, Linda. Wie ist so etwas möglich? Dieser Mann sieht aus, als wäre er schon vor Jahrhunderten gestorben. Ich glaube nicht, dass wir noch einen einzigen Tropfen Blut in seinem Körper finden werden.“
Das Opfer sieht aus wie ausgedörrt , dachte Linda. Es war kein Blut am Tatort zu sehen, nur ein paar Tropfen, die den Schnee färbten. „Und genau darum ziehst du eine Hämatologin zum Tatort hinzu. Ich dachte mir schon, dass das etwas ungewöhnlich ist.“
Reynolds hob eine Augenbraue. Dann nahm er Linda unter einem Arm und führte sie ein paar Schritte weg – eine vollkommen unnotwendige Geste, denn es waren keine Schaulustigen hier, nicht einmal Reporter. Seine sonst so besonnene Art war einer Nervosität gewichen, die sie von ihm nicht kannte. „Ich möchte, dass du alles unters Mikroskop legst, was wir von ihm noch verwenden können.“
„ Pat, ich
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