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Jenseits der Finsternis

Jenseits der Finsternis

Titel: Jenseits der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Nagula
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Schmiererei an der Haustür? Ist doch eine Sauerei, was sich die Kinder heute alles erlauben. Ich werde das nachher abwischen. Hoffentlich kriegt man die Tür wieder hin.«
    »Das waren keine Kinder!« entfuhr es Emmerich. »Weißt du denn nicht, was das bedeutet? Es ist das Zeichen der Sisters of Mercy.«
    Colette wandte sich mit einem Lächeln dem Spiegel zu. »Sei nicht albern, Klaus«, sagte sie und strich sich erneut übers Haar. »Glaubst du im Ernst an diesen Unsinn? Sisters of Mercy! Irgendeine Straßenbande war das. Heute gibt es keine Zorros und Robin Hoods mehr, Schatz. Da hat sich jemand einen Spaß erlaubt.«
    »Colette! Die Sisters of Mercy existieren. Und es sind keine Rächer der Geknechteten, sondern das genaue Gegenteil davon.«
    »Stell dich nicht an!« sagte sie.
    »Das ist Fahlers Eliteorden! Sie sind nicht im mindesten darauf aus, irgendwelche guten Taten zu vollbringen!«
    »Ach was«, meinte sie. »Man kann alles übertreiben. Du hast im Sender wohl wieder Ärger gehabt? Laß deine schlechte Laune nicht an mir aus, ja?«
    Emmerich beschloß das Thema zu wechseln. Er kannte seine Frau gut genug, um zu wissen, daß sie ihm nicht glauben würde. Manchmal schien es ihm, als gäbe es für sie nichts Böses auf der Welt, vom Finanzamt abgesehen. Erst jetzt fiel ihm auf, daß sie ihr trägerloses rotes Kleid auf das Bett gelegt hatte und offenbar ausgehen wollte.
    »Haben wir eine Verabredung?« fragte er. »Das muß ich vergessen haben, tut mir leid.«
    Colette legte den Tuschestift zur Seite und schritt graziös zum Schrank, um weitere Wäscheteile herauszusuchen. Emmerich betrachtete ihren Rücken, das verlockende Spiel ihrer Waden. Sie war eine bezaubernde Frau, und das wußte sie. Emmerich wünschte sich, seinerzeit mehr darauf geachtet zu haben, ob sie auch einstellungsmäßig zueinander paßten. Er schätzte an ihr, daß sie ihm seinen starken Eigensinn vor Augen halten konnte, aber er bezweifelte, daß sie wirkliche Liebe miteinander verband.
    »Laß gut sein, Klaus«, meinte sie. »Du hast nichts vergessen. Ich möchte heute einfach etwas für mich sein, in den Ratinger Hof gehen, andere Gesichter sehen.«
    »Was sagst du?« Emmerich ging auf seine Frau zu. Er brauchte Trost. Der heutige Tag war mehr gewesen, als er verkraften konnte. Er legte die Arme um Colette und murmelte: »Ich habe nicht ganz verstanden.« Seine Stimme klang dumpf im Dickicht ihrer Haare.
    »Nicht jetzt.« Sie entwand sich ihm, nahm die restliche Kleidung und trug sie zum Bett. »Ich werde mich dort mit Heidrun treffen.« Dabei kramte sie im Beistelltisch nach Strümpfen und einem Gürtel. »Du erinnerst dich sicher an die kleine Blonde aus der Zeit vor unserer Ehe? Wir arbeiteten in derselben Boutique – wie hieß sie gleich … richtig: Cri Cri. Ein niedliches Ding, weißt du noch? Von einem Temperament, das Berge versetzen kann. Sie rief mich heute vormittag an und fragte, ob wir uns treffen könnten. Ich fand, der Ratinger Hof sei der beste Ort dafür.«
    Emmerich nickte. Es war besser, seiner Frau nicht zu zeigen, wie enttäuscht er war. Er wollte ihr nicht den Abend verderben. Und vielleicht war es gar nicht so falsch, wenn auch er heute abend etwas für sich war und Klarheit in seine Gedanken bringen konnte.
    »Wird sicher spät werden?« meinte er.
    »Ich denke schon.«
    Emmerich drehte sich um und ging durch den Korridor ins angrenzende Zimmer. Es war voller technischer Geräte, und Holografien an den Wänden zeigten psychedelische Skulpturen, optische Illustrationen zu den Klangcollagen, die er in seiner Freizeit zusammenstellte. Dies war ein Ort, an dem er alles vergessen konnte, an den er sich stets zurückzog, wenn er sich schlecht fühlte.
    Er schloß die Tür und setzte sich hinter die Instrumententafel. Routiniert streifte er die Kopfhörer über und schaltete die Geräte ein. Ein Wummern und Wabern ertönte. Er modulierte Frequenzen, fügte Effekte hinzu, schaltete Sequenzer in Reihe. Langsam nahm das vertraute Gefühl in ihm Gestalt an, einen eigenen Ausdruck zu erfahren.
    Orgiastische Klänge formten sich in seinem Bewußtsein, schlugen im Takt des Herzens auf ihn ein, schmolzen zu einem Rinnsal zusammen und sickerten durch die Einöde. Erste Worte eines assoziativen Textes kamen ihm über die Lippen. Not me, murmelte er. Not me. Und das Murmeln wurde lauter, steigerte sich zum Geschrei. It wasn’t me. I was elsewhere. Nobody told me. I was very busy. I had problems at work. I didn’t ask to be

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