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Jenseits der Finsternis

Jenseits der Finsternis

Titel: Jenseits der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Nagula
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born. Don’t blame me. Not me. Emmerich kehrte sein Innerstes nach außen.
    Er hörte es nicht, als sich irgendwann mit einem leisen Klicken die Haustür schloß.
     
3.
     
    Am selben Abend saß Klaus Emmerich wieder hinter dem Schaltpult des Regieraums und starrte auf die Kontrollschirme. Unwilliger denn je rückte er die Kopfhörer zurecht. Eine festliche Show war angesagt, Mann ist Mann, inszeniert für die zwanziger Jahre des neuen Jahrhunderts. Die Kulissen von fünf Studios zeigten Ausschnitte einer mit dünnen Strichen auf die Leinwand gebrachten Phantasiestadt. Die Kleider der Schauspieler waren pompös und signalisierten eine Geisteshaltung, die nicht zu dem Stück passen wollte. Im Mittelpunkt stand ein Mensch, der nicht nein sagen konnte und als Schwächling galt, bis er seine Stärke bewies, indem er sich für die Belange seiner Heimatstadt einzusetzen begann. Die Unverletzlichkeit des Individuums sollte der Vorstellung weichen, daß es manchmal unerläßlich sei, einen Menschen wie ein Auto umzumontieren.
    Es war Fahlers Verdienst, das klassische Stück so auf die Bühne gebracht zu haben, daß es seiner Politik gerecht wurde.
    Emmerich fühlte sich elend. Gerade noch rechtzeitig wies ihn ein rotes Blinklicht darauf hin, daß er in ein anderes Studio umschalten mußte. Die Präsentation der Handlung und Motive auf verschiedenen Spielebenen, in die Pantomimen und Liedtexte eingeflochten waren, sollte das Verständnis des Stückes erleichtern helfen. Einfache Dialekte und Umgangsdeutsch wurden bewußt imitiert und der Lächerlichkeit preisgegeben, um auf den einzig gangbaren Weg des Helden hinzuweisen, der erst einen betrunkenen Soldaten als Gott vorführte und Opfergaben dafür kassierte, schließlich jedoch zur Kampfmaschine wurde und auf Geheiß seines Herrn eine ganze Festung im Alleingang eroberte.
    Die Aufführung des Stücks war ein Kulturereignis ohnegleichen. Mehr als zwanzig Städte waren an der Liveübertragung angeschlossen. In hilflosem Zorn beobachtete Emmerich, wie der Held beim Passieren einer Grenze seinen Landsleuten die Ausweiskarten abnahm, ein symbolischer Akt, durch den er ihre Identität auslöschte.
    Ist das nicht haargenau mein Job? durchfuhr es ihn. Mache ich nicht das gleiche, wenn ich tagtäglich solche Sendungen betreue?
    Er achtete kaum noch auf den stereometrischen Ablauf der Geschichte, sondern dachte an die vergangenen Stunden. Der klangvolle Rausch war kaum vorüber gewesen, als ihn Harald angerufen hatte. Er möge doch bitte seine Schicht übernehmen, ihm sei etwas dazwischen gekommen. Aus Freundschaft hatte er zugesagt. Nun war er ein weiteres Mal für den reibungslosen Ablauf einer Sendung verantwortlich, hinter der er nicht stehen konnte.
    Erneut schaltete er in ein anderes Studio um. Dort half der Held gerade einem Kameraden dabei, sich zu entmannen. Die Sinnlichkeit, so drückte es die Pantomime aus, sollte nicht länger sein Pflichtbewußtsein stören. Ein Spottlied auf die eigene Entschlußkraft folgte, woraufhin sich einige bekehrte Rebellen reumütig dem Erschießungskommando stellten. Emmerichs Zorn wuchs.
    Warum machte er sich eigentlich zum Büttel dieses Mannes, der in jahrelanger Tätigkeit ein Netz gewebt hatte, in dessen Zentrum er jetzt wie eine dicke fette Spinne saß? Fahler, die graue Eminenz, Herr über eine Heerschar von Japanern, die sich seit der Säurekatastrophe von 1990 in dieser isolierten Stadt – einer von vielen – heimisch gemacht hatten!
    Er wollte nicht, daß dieser Mann weiter von der Trägheit der Bürger zehrte. Er mußte etwas tun, irgend etwas, ein Signal setzen, ein kleines Loch in das organisatorische Geflecht des Despoten reißen.
    Plötzlich flogen Emmerichs Finger wie von selbst über die Tastatur. Ein Kontrollschirm nach dem anderen erlosch und wich dem Störungszeichen. Er schaltete das Regiemikrofon auf Sendung. Es war an der Zeit, daß die Zuschauer einmal eine ehrliche Stimme hörten.
    »Freunde!« rief er, und ein verzweifelter Unterton schwang darin mit. »Hört mich an, glaubt mir! Was ihr hier seht, ist ein Zerrspiegel der Wirklichkeit. Ihr sollt für dumm verkauft werden. Ihr sollt eine Lehre aus diesem Schauspiel ziehen, die einzig dem Herrn dieser Stadt nützt. Ihr sollt ruhiggestellt, mit ledernen Riemen an die Fernsehsessel geschnallt werden, unfähig euch zu erheben, etwas zu entgegnen. Im günstigsten Fall dürft ihr als Handlanger von Heinrich Fahler dienen, dessen Macht ständig wächst. Ihr kennt doch die

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