Jenseits der Finsternis
wenigen Menschen im Betrieb, die sich genug natürlichen Instinkt bewahrt hatten, um der Politik des Hauses mit einer gewissen Skepsis zu begegnen. Er winkte ihm zu. Harald winkte zurück, nahm Teller und Besteck und setzte sich zu Emmerich an den Tisch.
»Ich habe deine neue Reportage im Schneideraum«, sagte er. »Harter Tobak. Könnte mir vorstellen, daß einiges rausgenommen werden muß. Vor allem die Parallele zwischen den Sisters of Mercy und den japanischen Arbeitnehmern scheint mir reichlich gewagt. Vielleicht schaust du dir das nachher nochmal an.«
Emmerich antwortete nicht. Er hatte gelernt zu schweigen, denn jeder Widerspruch brachte ihm nur neue Probleme ein. Sie sind doch ein Fernsehmensch! Sie haben eine Aufgabe zu erfüllen. Das erfordert Verantwortungsgefühl! Es hatte sich manches geändert, seit Heinrich Fahler den Vorsitz übernommen hatte.
»Ich habe meine eigenen Theorien über diese Zusammenhänge«, erwiderte er. »Aber sag mal, wie geht’s eigentlich Corinna?« Er lächelte. Es war ein offenes Geheimnis, daß Harald eine verheiratete Freundin hatte. Mehr als genug Witze wurden darüber gerissen. »Ich habe gehört, du sollst bald Vater werden.«
Harald blickte ihn mürrisch an. »Was soll das? Fängst du jetzt auch schon damit an? Du weißt sehr wohl, daß ich darüber nicht reden will. Soll man sich doch die Mäuler zerreißen!«
Emmerich schmunzelte. Er rückte etwas zur Seite, als die Bedienung mit dem Tagesmenü kam. Interesselos verfolgte er, wie es ihm aufgetischt wurde. Sauerbraten vom Schwein mit Rosenkohl, dazu Spiralnudeln. Er nahm die Flasche mit Starkbier und füllte sein Glas.
»Übrigens habe ich gehört«, bemerkte Harald, »daß Heimfurts Einschaltquote schon wieder gestiegen ist.«
»Das wundert mich nicht. Seine Show ist das Raffinierteste, das ich auf dem Fernsehsektor bisher erlebt habe. Reine Politpropaganda, getarnt als TV-Vergnügen für Zuschauer aller Altersstufen.« Emmerich schob mit der Gabel einige Nudeln zusammen. »Ich sage dir, das haben wir den Japsen zu verdanken.«
»Nun hör aber auf!« entfuhr es Harald. »Das wird bei dir ja zur Manie. Was haben sie dir eigentlich getan? Ich finde es großartig, daß uns die Japaner außer mit ihrer Technologie auch mit Fachkräften zur Seite stehen. Stell dir nur einmal vor, wo wir jetzt wären, wenn Fahler nicht dafür plädiert hätte, sie in den Sender aufzunehmen!«
Emmerich sah den Freund mißtrauisch an. »Glaubst du das wirklich? Es geht doch längst nicht mehr um den Freien Sender Düsseldorf. Das war eine Grundsatzentscheidung. Die Umstrukturierung der Organisation ist doch nur die Spitze vom Eisberg. Ist dir nie der Gedanke gekommen, daß es dabei nicht bloß um Wirtschaftsbelange geht? Verameisung, Gleichschaltung, der totale Einsatz bis zur Selbstaufgabe. Es ist ihre Mentalität, die zählt.«
Harald starrte ihn fassungslos an. Er legte das Besteck zur Seite und war nahe daran, den Freund für verrückt zu erklären. Eigentlich kannte er Emmerich als einen Mann, der wußte, wovon er sprach. Als er etwas entgegnen wollte, unterbrach ihn das Klirren der Rundrufanlage.
»Klaus Emmerich bitte zum Sendeleiter. Ich wiederhole: Klaus Emmerich zum Sendeleiter.«
Im nächsten Moment war ihm entfallen, was er hatte sagen wollen. Er sah, wie Emmerich den Teller von sich schob und mit Pedanterie das Besteck zur Seite legte. Es hatte nicht den Anschein, als ob er überrascht von dem Ruf wäre. Das erstaunte Harald. Und doch war es typisch für seinen Freund. Wahrscheinlich würde er jetzt vom Leiter der Sendeanstalt zu hören bekommen, was er ihm schon angedeutet hatte. Emmerich war ein guter Regisseur, aber was immer er über Fahlers Entscheidung denken mochte, es war ein Unterschied, ob er es für sich behielt oder damit im Sender hausieren ging.
»Wird schon schiefgehen«, meinte Harald. »Einfach nicht hinhören.« Er lachte.
Emmerich nahm einen letzten Schluck aus dem Bierglas und erhob sich. Augenzwinkernd nickte er dem anderen zu. Dann schritt er durch die gemurmelten Gespräche in der Kantine auf den Ausgang zu.
2.
Ihm war, als wate er durch zähen Schlamm. Der Asphalt zu seinen Füßen zog träge dahin, als er die Ratinger Straße entlangschritt. Um ihn herum herrschte der Trubel heimwärts hastender Menschen, die sich auf ihre Abendbeschäftigung freuten. Emmerich fühlte sich unbehaglich bei dem Gedanken, jetzt ebenfalls mit der Freizeit zu beginnen. Er spürte, daß er die
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