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Jenseits der Finsternis

Jenseits der Finsternis

Titel: Jenseits der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Nagula
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Zurechtweisungen des Sendeleiters diesmal ernster nehmen mußte als sonst. Fahler hatte ihn regelrecht zusammengestaucht. Seine Reportage würde nicht gesendet werden, und es war fraglich geblieben, ob er seine Stellung als Regisseur weiter bekleiden durfte. Fahler hatte ihm deutlich gemacht, daß es mehr als genug Leute gab, die nur darauf warteten, seinen Platz einnehmen zu können. Emmerich fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und blieb stehen. Von irgendwoher erklang Musik. Er sah sich um und entdeckte auf der anderen Straßenseite eine Band. Zwei Männer schlugen auf synthetischen Klangerzeugern einen hämmernden Beat. Sie waren weißhaarig, in den Siebzigern, mit dunkler Kleidung versehen, die sie wie Lodenmäntel trugen. Ihre kratzenden Stimmen intonierten einen Gesang, der aggressiv gemeint sein mochte. An der Hauswand hinter ihnen war ein weißes Laken befestigt, auf dem in schwarzen Lettern der Gruppenname stand: STRAFE FÜR REBELLION. Emmerich schrak zusammen, als ein vorübergehender Passant ihm einen Stoß versetzte, und ging weiter.
    Es war nicht weit bis zu seiner Wohnung. Sie lag zwei Wegminuten von der Sendeanstalt entfernt an der Ecke Ratinger Straße/Neubrückstraße, inmitten einer heruntergekommenen Gegend, die der Stadtsanierung zum Opfer gefallen war. Niemand, der etwas auf sich hielt, hätte hier leben wollen, aber für Emmerich war diese Gegend das Symbol einer sterbenden Kultur. Für nichts auf der Welt hätte er seinen Wohnsitz in einem der ultramodernen Gebäude aus Stahl, Glas und Plastik nehmen mögen. Seine Frau dachte da freilich anders, aber das war nur eine ihrer Meinungsverschiedenheiten, die auf nicht zu vereinbarenden Mentalitäten fußten.
    Emmerich versuchte die tristen Gedanken abzuschütteln. Er liebte seine Frau, liebte die Welt. Er versuchte einzutauchen in die Menschenmenge um ihn herum. Gute, treuherzige Menschen, die gleich ihm das Beste aus ihrem Leben machen wollten, die Freude an der aufgehenden Sonne und dem nächtlichen Sternenhimmel hatten. Er betrachtete ihre Gesichter. Es war angenehm, sie sich in ihrer Komplexität und Unergründlichkeit vorzustellen. Er betrachtete ihren Gang, die Gesten und Blicke, die sie einander zuwarfen. Verstohlen oft, schüchtern, aber in guter Hoffnung auf das Kommende. Er schmunzelte, als er sich den Gegensatz zwischen ihnen und der Welt, in der sie lebten, vorstellte. Die Straßen, durch die sie schritten, waren ausbetoniert, die Häuser mit blasser Plastikmelasse bestrichen, denen gelegentliche Aufschriften ihren menschlichen Gehalt zurückzugeben versuchten. Links von ihm etwa. Dort stand ein Graffito, das ihn stets von neuem amüsierte, gleich neben einer Snackbar, die in kalter Illumination ihre Waren anpries. GOD IS A HAMBURGER las er. Es gab also noch Antworten auf die ungezählten Fragen.
    Als er die Querstraße erreichte, bog er automatisch rechts ab. Die Musik der Rentnerband war kaum noch zu hören, wurde verschluckt von der Vielzahl hastender Menschen. Er schritt tiefer in die Gasse hinein und atmete die stickige Luft, den Flair der Hinterhofszene, die ihn umgab. Sein Blick fiel auf ein Graffito, das frisch gesprüht worden war. REISST FAHLER DOCH DEN HINTERN AUF, DANN KOMMT DIE MENSCHHEIT BESSER DRAUF! Es brachte ihm die Erinnerung an das Gespräch mit dem Sendeleiter zurück, an die nackte Gewalt, mit der ihm Fahler begegnet war. Pure Macht hatte aus seinen Worten gesprochen, das Wissen darum, in dieser Stadt das Sagen zu haben.
    Er brachte die letzten Meter bis zur Haustür hinter sich. Geschickt stellte er das Zahlenschloß ein, und als er die Tür aufdrücken wollte, sah er das Zeichen: ein weißes Schwert mit aufwärts ragendem Griff. Ihm stockte der Atem, deutlicher konnte eine Warnung gar nicht mehr sein. Gib acht, wir haben dich im Auge! Wenn du uns weiter Probleme bereitest … Nervös sah er sich um, niemand war in der Nähe. Er stieß die Tür auf, schob sich in den schmalen Korridor und drückte sie mit der Schulter zu. Einige Augenblicke lang lauschte er seinem Herzschlag. Er dachte an nichts, war leer und ausgebrannt. Er hatte Angst.
    »Bist du’s, Klaus?« fragte eine Stimme.
    Emmerich kam zu sich und betrat den riesigen Schlafraum, der seiner Frau und ihm gleichzeitig als Wohnraum diente. Er sah Colette vor dem Spiegel stehen, mit der Rechten das Badetuch haltend, in das sie gehüllt war, mit der Linken das Haar ordnend.
    »Colette«, sagte er. »Hast du’s gesehen?«
    Sie drehte sich um. »Meinst du die

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