Jenseits Der Schatten
Schritten näherte sich über den Flur. Ein Dutzend königlicher Wachen kam schwer bewaffnet in den Raum gestürzt. Hinter ihnen drängten Logan Gyre, Herzog Wesseros und deren Wachen herein. Binnen Sekunden hatten sie einen Halbkreis um Kylar und die Königin gebildet. Dutzende von Waffen waren auf Kylar gerichtet.
»Legt den Dolch weg!«, schrie ein königlicher Wachmann. »Legt ihn sofort weg!«
»Helft mir. Bitte«, flehte Terah.
»Bei den Göttern, Kylar«, rief Logan. »Tu das nicht. Bitte!«
Für den Auftrag war es perfekt. Jetzt hatten Dutzende von Zeugen mit angesehen, wie Logan Kylar befahl innezuhalten. Nur eines blieb noch zu tun. Kylar setzte einen verzweifelten Gesichtsausdruck auf. »Luc hat versucht, mich aufzuhalten, und er konnte es nicht«, brüllte Kylar. »Und Ihr könnt es auch nicht!«
Kylar riss den Dolch durch Terah Graesins Kehle, und die ganze Welt schrie.
49
»Mutter«, sagte Kaede, als sie ins Arbeitszimmer kam. »Wie geht es mit den Hochzeitsvorbereitungen voran?«
Daune Wariyamo hob den Blick von den über ihren ganzen Schreibtisch verteilten Papieren. Sie liebte Listen. »Wir haben unserer Pflicht Genüge getan. Alle sind über ihren Platz in der Rangordnung und das von ihnen einzuhaltende Protokoll in Kenntnis gesetzt worden. Ich mache mir nur Sorgen um Oshobis Mutter. Ich würde sagen, sie hat das Gehirn eines Kolibris, nur dass Kolibris für ein oder zwei Sekunden still stehen können. Ich erwarte, dass die takedasche Hälfte der Zeremonie eine absolute Katastrophe sein wird.« Sie nahm ihren Kneifer ab. »Ich habe gehört, irgendein Irrer sei gekommen und habe behauptet, er sei ein Tofusin.«
Ein Tofusin. Als gäbe es mehr als einen. »Er ist nichts. Ein weißhaariges Ungeheuer«, tat Kaede die Bemerkung ihrer Mutter ab. »Ich will deine Meinung hören, Mutter. Unsere Familienehre wurde beschmutzt, und dieser Frevel könnte einigen Menschen durch den Kopf gehen, während wir diese Hochzeit abhalten, daher denke ich, ich muss mich sofort darum kümmern. Eine der Cousinen hat ihrem Ehemann Hörner aufgesetzt. Sie schwört, die Affäre läge lange zurück und sei nur kurz gewesen, aber ihre Konsequenzen dauern fort. Was soll ich tun?«
Daune Wariyamo zog die Brauen zusammen, als sei die Antwort
so offenkundig, dass Kaedes Frage als dumm gelten musste. »Eine Schlampe kann nicht geduldet werden, Kaede. Eine Hure entehrt uns alle.«
»Schön. Ich werde mich darum kümmern.«
»Wer ist es?«
»Mutter«, sagte Kaede leise, »ich werde dir eine Frage stellen, und wenn du mich belügst, werden die Konsequenzen härter sein, als du dir vorstellen kannst.«
»Kaede! Wie sprichst du mit deiner Mutter -«
»Ich will nichts von all dem hören, Mutter. Was -«
»Dein Tonfall ist so respektlos, dass ich -«
»Schweig!«, rief Kaede.
Daune Wariyamo war für einen Moment zu verblüfft, um eine ihrer gewohnten Taktiken einzusetzen.
»Hast du Briefe von Solon an mich abgefangen oder nicht?«, fragte Kaede.
Daune Wariyamo blinzelte hektisch, dann antwortete sie: »Natürlich habe ich das getan.«
»Wie lange?«, hakte Kaede nach.
»Ich erinnere mich nicht.«
»Wie lange?«, fragte Kaede mit einem gefährlichen Unterton in der Stimme.
Die Mutter der Kaiserin blieb lange Sekunden still. Dann sagte sie: »Jahre. Es kamen jeden Monat Briefe, manchmal häufiger.«
»Jede Woche?«
»Ich nehme es an.«
»Was hast du mit ihnen gemacht, Mutter?«
»Dieser Solon war schlimmer als sein Bruder.«
»Wage es niemals, zu mir von diesem Ungeheuer zu sprechen. Wo sind die Briefe?«
»Sie waren ein Gewebe aus Lügen. Ich habe sie verbrannt.«
»Wann hat er aufgehört, sie zu schicken?«, fragte Kaede.
Für einen Moment war die Miene ihrer Mutter vollkommen leer, dann antwortete sie: »Ich weiß es nicht, vor zehn Jahren?«
»Er hat nicht aufgehört zu schreiben, nicht wahr? Wag es nicht, mich zu belügen, bei den Göttern, wag es nicht.«
»Jetzt kommen nur noch wenige Male im Jahr Briefe. Soweit ich weiß, war es ein Betrüger, der hoffte, dir abermals das Herz zu brechen, Kae. Lass diesen Fremden nicht alles ruinieren. Selbst wenn er Solon ist, du kennst ihn nicht. Wenn du diese Hochzeit aufschiebst, könnte das dein Ende bedeuten. Der Herbst ist die einzige Zeit, in der eine Kaiserin heiraten kann, und wenn du zögerst, werden die Meere unpassierbar sein. Die Fürsten von den anderen Inseln werden der Zeremonie nicht beiwohnen können. Du brauchst diese Hochzeit. Wir dürfen die
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